Vorbemerkungen

Die historischen Sammlungen des Werkbundarchiv – Museum der Dinge sind zugleich ein gezieltes sowie ein kontingentes Resultat einer ausstellungsorientierten und v.a. im Bezug auf den Deutschen Werkbund forschungsorientierten Praxis. Das bedeutet, dass die Sammlung bis Ende der 1990er Jahre im Wesentlichen über das Zeigen/die Ausstellung konstituiert wurde. Die historischen Projekte, die sich unmittelbar mit dem Thema „Sammeln“ und mit der Konzeption und Struktur der Sammlung beschäftigt haben, waren:

  • „Unbeständige Ausstellung der Bestände des Werkbund-Archivs“ (1995–1998)
  • „ware schönheit – eine zeitreise“ (1999)
  • „Sammeln in einem offenen System“ (2000–2002).

Seit 2007 kommt in diesem Zusammenhang die Schausammlung hinzu, bei deren Konzipierung und Einrichtung grundlegende Aspekte der Sammlungsstruktur präzisiert werden konnten.


Zur Sammlung

Die Sammlung des Werkbundarchiv – Museum der Dinge ist in seiner Struktur und Geschichte im Gegensatz zu vielen anderen Museen nicht monologisch aufgebaut, sondern dialogisch bis vielstimmig. Es ergeben sich zahlreiche Berührungspunkte mit anderen Berliner Museen; die Sammlung ermöglicht neben kulturhistorischen, technischen und funktionshistorischen auch soziologisch orientierte Rekonstruktionen des Umgangs mit Dingen in der Industriegesellschaft.

Das Museum – mit dem Kern „Archiv des Deutschen Werkbund“ – beschränkt sich in seiner Sammlungs- und Ausstellungsarbeit nicht auf die Erzeugnisse von Werkbundkünstler*innen und Werkbundfirmen, sondern bezieht den Wirkungsbereich des Werkbunds – den Alltag und die warenproduzierende Gesellschaft – in seine Arbeit ein.

Ergebnis dieser langjährigen (seit 1973), öffentlich finanzierten Tätigkeit ist eine Sammlung von ca. 40.000 Dokumenten und ca. 40.000 Objekten, die vor allem dem 20. Jahrhundert entstammen.


Zum Namen

Werkbundarchiv verweist auf den historischen Bezugspunkt der Institution und Sammlung: Deutscher Werkbund. Diese Lebensreformbewegung in ihrer Geschichte, Strategie und Bedeutung – als eine von zahlreichen Reformbewegungen im 20. Jahrhundert – zu verstehen und zu vermitteln, ist das Kerngeschäft der Institution. Daraus leitet sich eine Perspektive der Sammlung aus zwei Blickwinkeln ab: erstens die Auseinandersetzung mit der Basis jeglicher Gestaltung im Kontext von Material, Form, Funktionalität (Qualitätsbegriff) sowie zweitens die Auseinandersetzung mit Fragen der Vermarktung/Warenkultur, d.h. dem Labeling/Branding durch Marken, Firmenstrategien, Entwerfernamen etc. (die zwei Stränge der Werkbundstrategie: „entzeichnen“ und das „bezeichnen“ der Dinge, vgl. dazu Katalog „Kampf der Dinge“).

Der seit 1999 bestehende Zusatz „Museum der Dinge“ verweist zum einen auf das Arbeits- und Sammlungsfeld Sach-/Produktkultur des 20. Jahrhunderts. Historisch gab es im Werkbundarchiv kaum eine Auseinandersetzung mit Architektur und Architekturgeschichte (mit der Ausnahme Taut/Glashaus, die keine klassische architekturhistorische Ausstellung war). Zum anderen verweist Museum der Dinge auf die Museumskonzeption, d.h. auf das Selbstverständnis als eine museologisch reflexive Einrichtung, die das „Museum“ als System/Struktur thematisiert, die Objekte als Anschauungsobjekte (Ästhetisierung, ready-made-effekt) hinterfragt und museale Systematisierungen sowie Kanonbildungen durchschaubar machen will.


Zum Sammlungsgegenstand

  • Objekte und Dokumente, die die Werkbundgeschichte und -zielsetzung dokumentieren und reflektieren (auch im Sinne einer zeitgenössischen Fortsetzung der Werkbund-Ideale)
  • Keine Einschränkung auf Objekte der Designgeschichte, sondern Ausdehnung auf Alltagskultur, da der Deutsche Werkbund zur Reform der Alltagskultur angetreten ist
  • Konzentration auf Produktkultur des 20./21. Jahrhunderts, geprägt von Massenproduktion und Warenkultur als Grundbedingung

Daraus ergibt sich eine dialogische Struktur der Sammlung, d.h. Objekte, die die Strategien des Deutsche Werkbunds repräsentieren, werden den vom Deutschen Werkbund „bekämpften“/kritisierten Objektbereichen gegenübergestellt. Mit der Konzentration auf die Produkt- und Warenkultur geht eine spezifische Aufmerksamkeit für die gesellschaftlich-politischen und ökonomischen Bedingungen einher, unter denen Produkte entstehen, vertrieben, vermarktet und genutzt werden.

Aufgrund des Kernthemas liegt der Schwerpunkt auf dem Ausdruck, der Sprache, dem Charakter der Dinge. Diese ist im intentionalen Sinne abgeleitet aus:

den individuellen Positionen

  • der Gestaltung (namhaft oder anonym)
  • der Herstellung (Firmen)
  • des Vertriebs (Handel, Marketing)

den Bedingungen

  • der Produktion
  • des Materials, der materiellen Ressourcen
  • der Funktion/Funktionalität (historisch aus sachlicher Technik abgeleitet)
  • der vermuteten Nutzungsbedürfnisse
  • des Zeitgeschmacks/Mode/Stil
  • der kulturhistorischen Zusammenhänge/Zeitgeschichte/nationale und regionale Eigenarten

Diese Gestalt der Dinge ist im nicht intentionalen Sinne (d.h. ungewollt, unabsichtlich, versehentlich) abgeleitet aus:

den individuellen Positionen

  • der Konsument*innen
  • der Nutzer*innen und evtl. Umnutzer*innen (Nutzungsspuren, Nutzungsgeschichte, Umgestaltung/individuelle Markierung)

den Bedingungen

  • des Konsums
  • der faktischen Nutzung
  • der Entsorgung

Zur geographischen Fokussierung

  • nationale Ausrichtung: historisch aus dem Deutschen Werkbund abzuleiten, für heutige Produktkultur nicht mehr angemessen
  • Bedeutung der Internationalisierung und Globalisierung für die Produktkultur
  • Differenzen in der Verortung von Produktion, Vertrieb und Nutzung

Zur historischen/zeitlichen Fokussierung

  • Sachkultur vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart
  • wesentlich für den dialogischen Ansatz: Kombination und Konfrontation von historischer und gegenwärtiger Produktkultur