Erste Annäherung
Deutsche Werkbund-Ausstellung, Köln 1914. Gleich hinter den Kassenhäuschen, zu Anfang des lang gestreckten, etwas mühsamen Zugangs zur Ausstellung, der bei schlechtem Wetter verschlammt war und staubig bei schönem – es folgten noch der Steinhäger-Pavillon, ein Gewächshaus, die Pumpstation, Polizei- und Feuerwache, bis man zum eigentlichen Portalgebäude der Ausstellung gelangte – ganz im Abseits der werkbundlichen Weihestätte also erhob sich ein seltsames Gebilde.
Als wäre die Erde aufgebrochen, wölbte sich in weicher Rundung ein Sockel aus Beton, gesäumt von großen gläsernen Kugeln, als wären sie durch die Eruption des Bodens unversehens ans Licht gebracht worden und eben herabgerollt. Unmittelbar aus dem wulstförmigen Ring stieg ein gläserner Tambour, ein vierzehnseitiges, von dünnen Pfeilern gestütztes Prisma, dessen Umrisslinien schon nach wenigen Metern – man ist versucht zu sagen: nach kurzer Zeit – in die sanfte und doch pralle Neigung einer leicht zugespitzten rhomoedrischen Kuppel übergingen. Die spiegelnden Facetten der Kuppel nahmen bei schlechtem Wetter eine grünlich-gelbe Färbung an, was dem Gebilde den Namen Spargelkopf eintrug, bei klarem Wetter spiegelten sie die kristalline Durchsichtigkeit des Äthers, die Bewegung der Wolken, das Spiel des Windes im Laub der benachbarten Bäume, vielleicht auch den flüchtigen Abglanz eines Flugzeugs.
Nachts verwandelte sich der Körper, mit tausenden Watt von innen illuminiert, in ein funkelndes, strahlendes Juwel.
Kuppelstern des Glashauses
Man war sich nicht einig über diese eigentümliche Schöpfung. Das Glashaus, so heißt es, sei verlacht und angepöbelt worden wie kein anderer Beitrag und wurde doch zu einer der Hauptattraktionen der Ausstellung. (1) Tatsächlich sprengte das Bauwerk geläufige Auffassungen von Architektur, verweigerte sich dem Vergleich mit Gewohntem. Es war kein exemplarischer Zweckbau, zu messen an seiner praktischen Bestimmung, kein Modell im Maßstab 1:1 wie Martin Gropius´ Musterfabrik oder Henry van de Veldes Theater auf derselben Ausstellung, auch keine kurzlebig aus Lattengerüsten, Rabitz, Gips und Teerpappe vorgestellte Monumentalarchitektur, wie Hermann Muthesius, Peter Behrens, Josef Hoffmann und andere sie zeigten.
Wie niemand sonst schöpfte Taut die originären Möglichkeiten der reinen Ausstellungsarchitektur aus, keiner anderen als der ephemeren Bestimmung dieser Gattung verpflichtet – obwohl sein Bau wie nur wenige sonst ganz aus authentischen Materialien, Glas und Eisenbeton, errichtet war.
Er fungierte als Reklamepavillon der Glasindustrie, die zu Teilen seine Finanzierung bestritt, und auch in technischer Hinsicht hob Taut seinen Zweck als Versuchsbau für die Branche der Glasproduzenten hervor. (2) Zugleich aber nannte er die Bestimmung des Hauses sakral, „ein Gewand für die Seele zu bauen“ die Berufung des Glasarchitekten (3). Und nur dieses einzige Mal, in Gestalt des Kölner Glashauses, realisierte er den Gedanken der Stadtkrone, des Volkstempels, der kosmischen Vision in baulicher Gestalt, der später in den Architekturphantasien der Gläsernen Kette eine so große Rolle spielte.
Facettenreich wie der Baukörper selbst sind die Zusammenhänge seiner Bedeutung. Fast nur Frauen und Kinder, so Taut, hätten sich an den schillernden Reizen seiner Glasarchitektur einfach nur freuen können. (4) Techniker und Ingenieure wussten die rechnerische Kühnheit der Konstruktion zu würdigen, um im Innern gelegentlich doch ganz kindlich dem strahlenden Feenglanz, dem kaleidoskopischen Märchenzauber der Inszenierung zu verfallen. (5)
Die Männer des Werkbundes taten sich schwer mit Tauts leichtem Gebilde.