Kabinett des Unbekannten

28. Jul – 2. Okt 2017

Ein Objekt, das nichts von sich preisgibt, weckt Interesse und wirft viele Fragen auf… Warum gibt es einen Schlüssel mit zwei symmetrischen Bärten an beiden Enden anstatt des einen üblichen Schlüsselbarts? Warum sollte man solch einen Schlüssel benutzen und wofür?

Der Berliner Schlüssel ist das „Schlüssel”-Objekt für das partizipative Ausstellungsprojekt „Kabinett des Unbekannten“. Als ein in Berlin weithin bekanntes, aber bei Personen ohne den städtischen Hintergrund unbekanntes Objekt steht dieser Schlüssel mit den zwei Bärten für die Verbindung zwischen Unbekanntem und Bekanntem, zwischen Innen und Außen, zwischen dem Museum und der Straße.

In der langen Tradition musealer Praxis gelten Museen als Institutionen der Wissensvermittlung. In der klassischen Museologie ist Wissen ein vom Museum angebotenes Gut, wobei die Besucherin und der Besucher üblicherweise an die Richtigkeit dieser Informationen glaubt.

Das Museum der Dinge wird in Bezug auf Konzeption, klassifizierende Ordnungen und Wissensproduktion bereits als unkonventionelles Museum wahrgenommen. Über das Ausstellungsprojekt „Kabinett des Unbekannten“ lädt es die örtliche Community ein, Unbekanntes neu zu definieren und eine gemeinsame Wissensplattform zu generieren.

Die Ausstellung „Kabinett des Unbekannten“ im Museum der Dinge ist das Ergebnis eines kollektiven Auswahlprozesses und nicht von einer Kuratorin/einem Kurator allein bestimmt. Im Vorfeld der Ausstellung hat jedes Mitglied des Museumsteams ein „unbekanntes“ oder rätselhaftes Objekt aus der eigenen Sammlung ausgewählt und ein „unbekanntes“ Geschäft bzw. eine interessante Institution in der Oranienstraße (zwischen Görlitzer Bahnhof und Moritzplatz)  benannt. In vier aufeinanderfolgenden Meetings wurden dann Vertreterinnen und Vertreter der ausgesuchten Läden eingeladen, um das Museum näher kennenzulernen, die bisherige Objektauswahl gemeinsam zu diskutieren, selbst ein unbekanntes Objekt auszusuchen und wiederum andere Orte zu benennen. So erweiterte sich der Kreis der beteiligten Akteure und der ausgewählten Objekte stetig.

Während dieses Prozesses bewegte sich der Fokus vom Museum weg und erfasste in mehreren Stufen – mit einem Schneeballeffekt – ein „neues“ Publikum in der unmittelbaren Umgebung des Museums, in der Oranienstraße. Diese Straße kann wie ein Mikrokosmos der Stadt wahrgenommen werden und ist ein Zentrum für das Nebeneinander unterschiedlicher kultureller Hintergründe, die ein Produktivfaktor in der gemeinsamen Generierung von Wissen sind.

Die Ausstellung „Kabinett des Unbekannten“ macht die Arbeit mit dem Unbekannten in der Sammlung und die neuen Vernetzungen mit der örtlichen Community sichtbar und schafft durch weitere partizipative Elemente ein neues Verständnis für die Stellung des Museums und seiner Wissensproduktion.


Das Cabinet d´Ignorance*

Das Projekt „Kabinett des Unbekannten“ bezieht sich auf ein historisches  “Cabinet d’Ignorance”, das sich Anfang des 18. Jahrhunderts im Dresdner Zwinger befand. Als Teil des Mathematisch-Physikalischen Salons wurde das “Cabinet d’Ignorance” für jene Objekte geschaffen, die nicht klassifiziert werden konnten und solche, die “von unbekannter Natur sind, Petrifikationen, Tiere oder Monster, deren Namen und Wesen nicht bekannt sind” und “für die die Besucher angehalten waren, eine Bezeichnung vorzuschlagen” (Bedini, Silvio A. The evolution of science museums. Technology and Culture, Vol. 6, No. 1, Museums of Technology (Winter, 1965), pp. 1-29, hier S.11).

Im “Cabinet d’Ignorance” wurde sichtbar gemacht, dass einige Objekte im Museum nicht klassifiziert werden können oder einfach gesagt: unbekannt sind. Gleichzeitig aber führt die bloße Anerkennung dieses Umstandes selbst zu einer Taxonomie unbekannter Gegenstände.

* Der Titel des Projektes stammt aus Johann Georg Keysslers Buch “Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, Schweiz, Italien und Lorrain”, das 1757 veröffentlicht wurde und in dem er das  “Cabinet d’Ignorance” in Dresden beschreibt.

Das Museum der Dinge macht mit der Ausstellung „Kabinett des Unbekannten“ deutlich, dass die Motivation hinter dem historischen „Cabinet d’Ignorance“ immer noch relevant ist. Und da es offen für eine Objektbestimmung durch die Besucher ist, bietet das Projekt die Möglichkeit, den museologischen Kontext um einen partizipativen Ansatz zu erweitern.


Der Berliner Schlüssel

Der Berliner Schlüssel (oder Durchsteckschlüssel) ist ein zweiseitiger Schlüssel, der dazu dient, “die Menschen zu zwingen, ihre Türen abzuschließen (in der Regel eine Haupteingangstür oder ein Tor, das in einen gemeinsamen Hof oder in ein Mietshaus führt)” und der den Hauswart ersetzen sollte – den Hauswart, dessen Aufgabe es war, die Haustür nach Bedarf die ganze Nacht zu öffnen. Als Instrument der Machtausübung eröffnete der Schlüssel zwei unterschiedliche Perspektiven und steht für eine Reihe binärer Verhältnisse: zwischen Innen und Außen, Mieter und Besitzer.

Das Besondere an dem Berliner Schlüssel ist, dass er an den Enden zwei identische Bärte hat anstatt des üblichen einzelnen Barts. Nach dem Aufschließen des Schlosses wird der Schlüssel ganz durch das Schloss hindurchgeschoben und auf der anderen Seite der Tür herausgezogen, nachdem diese wieder verriegelt wurde. Der Mechanismus macht es unmöglich, den Schlüssel herauszuziehen, wenn die Tür entriegelt ist.

Der Schlüssel wurde von dem Berliner Schlossermeister Johann Schweiger erfunden und ab 1912 von der Firma Albert Kerfin & Co GmbH in hoher Zahl hergestellt. Mit dem Aufkommen moderner Schließsysteme wurde diese Art von Schloss und Schlüssel jedoch immer seltener, sie kann aber gelegentlich auch heute noch in Berliner Mietshäusern genutzt werden.

Die Bedeutungsdimension des Schlüssels arbeitet Bruno Latour in seinem Buch “Der Berliner Schlüssel” heraus. Nach Latour ist der Zweck des Berliner Schlüssels tief in sein Wesen eingeschrieben. “Der Berliner Schlüssel, die Tür und der Hauswart befinden sich in einen erbitterten Kampf um Kontrolle und Zugang. Können wir sagen, dass die sozialen Beziehungen zwischen Mietern und Eigentümern, oder Bewohnern und Dieben, oder Bewohnern und Lieferanten, oder Hausbesitzern und Hauswarten vermittelt werden über den Schlüssel, das Schloss und den “preußischen Schlosser?” fragt Bruno Latour in seinem Buch „Der Berliner Schlüssel: Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften”, von 2014 (Zitat S. 23).

Jeden Donnerstag während der Laufzeit der Ausstellung (28. Juli bis 25. September 2017) laden wir alle Interessierten herzlich um 18 Uhr zu einer kostenlosen Führung durch das ‚Kabinett des Unbekannten‘ ein.


Gastkuratorin/Projektleitung

Ece Pazarbaşı

Projektassistenz

Juliane John

Gefördert im Programm Fellowship Internationales Museum der