Die „Frankfurter Küche“

Die so genannte „Frankfurter Küche“ ist kulturgeschichtlich ein wichtiges Zeugnis für die Übertragung von industriellen, d.h. rationalisierten Arbeitsvorgängen in den Bereich des privaten Haushalts – ein zentraler Aspekt für die moderne Architektur und Alltagskultur der 1920er Jahre.

Die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky hat die Küche 1926 als einen Typus entworfen, der zehntausendfach in zahlreichen Varianten in den Frankfurter Siedlungen realisiert wurde. Schütte-Lihotzky arbeitete im Auftrag des Frankfurter Stadtbaurats Ernst May, der in sich die Position des gestaltenden Architekten und die des politisch-kommunalen Managers für das Neue Frankfurt der 1920er Jahre vereinigte. Angesichts der steigenden Bevölkerungszahlen und der städtischen Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg ging es bei diesem Wohnungsbauprogramm um günstigen, effizient und sparsam genutzten Wohnraum mit einer einfachen, preiswerten Ausstattung für große Bevölkerungszahlen. Das vor allem von der SPD unterstützte Siedlungsbauprogramm war politisch motiviert und hatte zum Ziel, die möglichen technischen und hygienischen Standards der Zeit (fließendes Wasser, Gas und Elektroenergie) auch unteren Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Das Programm wurde durch eine spezielle moderne Öffentlichkeitsarbeit vermittelt, in deren Rahmen z.B. auch die Küche erfolgreich auf der Frankfurter Frühjahrsmesse 1927 vorgestellt wurde.

Die Typisierung, d.h. die Entwicklung eines standardisierten Modulsystems, ermöglichte zum einen die Reduzierung der benötigten Grundfläche und zum anderen eine serielle Fertigung und damit die Senkung der Herstellungskosten.

Die „Frankfurter Küche“ fand eine große Verbreitung und wurde zum Vorbild für die moderne Einbauküche. Allerdings gibt es nicht die „Frankfurter Küche“, sondern das Modell erfuhr in der Phase seiner Realisierung in verschiedenen Frankfurter Siedlungen bis 1930 diverse Veränderungen.

Die „Frankfurter Küche“ orientierte sich an den Speisewagenküchen der Eisenbahn, wurde auf der Basis taylorisierter Arbeitsabläufe geplant und war rationell und funktional gestaltet. Sie sollte als reine Arbeitsküche in Verbindung mit einem durch eine Schiebetür abtrennbaren Wohnzimmer genutzt werden und ein „Kochbetrieb“ oder „Kochlaboratorium“ sein.

Das in die Schausammlung des Werkbundarchiv – Museum der Dinge integrierte Exemplar der „Frankfurter Küche“ stammt aus einem Zweifamilien-Reihenhaus im Heidenfeld 24 in der Römerstadt-Siedlung, die 1927/28 entstanden ist. In den Küchen der Römerstadt-Siedlung fehlten die in anderen Frankfurter Küchen vorhandene Schiebetür und die Kochkiste und sie waren mit Kombinationen aus Elektro- und Kohleherd ausgestattet. Der ursprüngliche Herd fehlt in diesem Interieur und wird durch ein vergleichbares Modell ergänzt. Die Küchenmöbel waren ursprünglich blaugrün gestrichen und wurden im Laufe ihrer Nutzung creme-weiß überstrichen. Die Küche wird unrestauriert aufgestellt, da die Nutzungs- und Veränderungsspuren sichtbar bleiben sollen; nur die Beschläge wurden von Farbe befreit und einige fehlende Teile ergänzt.

Das Ensemble ist eine ideale Ergänzung der Schausammlung des Museums, da sich am Beispiel der „Frankfurter Küche“ die Leitbegriffe der 1920er Jahre veranschaulichen lassen: Sachlichkeit, Funktionalität und vor allem Standardisierung. Der Begriff der Standardisierung bezog sich nicht nur auf die Produktionstechnik, sondern spiegelt auch die ideologische Überzeugung der Aktivisten von Bauhaus und Werkbund wider, durch eine gleichförmige Gestaltung der alltäglichen Dinge zur Nivellierung der Klassengegensätze beizutragen. Der künstlerische Entwurf des standardisierten Objekts diente der Veredelung und garantierte die Endgültigkeit der richtigen Form.

Die „Frankfurter Küche“ gehört zu den von Werkbund und Bauhaus geprägten Modellen für ein „Neues Leben“ des „Neuen Menschen“, die in den 1920er Jahren eine starke Konjunktur erlebten. In diesen Bestrebungen ist eine Abgrenzung von historisch bestimmten Identitätsanteilen zu erkennen. Bruno Taut lehnt in seiner Schrift „Die neue Wohnung“ die Präsenz von Erinnerungsstücken und von jeglichem ‚historischen Plunder‘ ab. Die wissenschaftliche Haushaltsexpertin der 1920er und 1930er Jahre Erna Meyer schreibt: „Jetzt geht’s ums Ganze; der neue Mensch sucht seine neue Haut!“ (E. M., Wohnungsbau und Hausführung, 1927, S.89). Das ’sinnlose Chaos‘ der Welt sollte durch eine ‚planvolle Ordnung‘ ersetzt werden. Die Vorstellung vom gesetzmäßigen Aufbau der Wirklichkeit entspricht einer durch den industriellen Produktionsprozess bedingten prinzipiellen Funktionalität und Rationalität. In diese sollten sich sowohl die Gegenstände als auch die Menschen eingliedern. Die Folgen dieser reformatorischen Ansätze insbesondere im Siedlungsbau wurden in den 1970er und 1980er Jahren im Kontext der Debatten um den sozialen Wohnungsbau kritisch hinterfragt. Ebenso kritisch ist das Frauenbild zu betrachten, das im Konzept der Frankfurter Küche deutlich wird. Durch eine rein funktionale Arbeitsküche sollte zwar die Hausarbeit erleichtert werden, aber ohne die Zuweisung dieses Arbeitsbereichs an die Frauen in Frage zu stellen.

Die eigene Anschauung der realen musealisierten Küche wird ergänzt durch eine Ton-Video-Installation auf der Basis von historischem Bild- und Filmmaterial, den Äußerungen der entwerfenden Architektin Margarete Schütte-Lihotzky aus einem Interview von 1985 und den Positionen zweier langjähriger Erforscher der „Frankfurter Küche“. Dies ist Astrid Debus-Steinberg von der Gesellschaft für Kunst und Denkmalpflege in Stuttgart, die seit Ende der 1980er Jahre viele „Frankfurter Küchen“ gerettet, gesammelt und systematisch erforscht hat. Dr. Joachim Krausse hat als Kulturwissenschaftler in den 1980er Jahren gemeinsam mit dem Architekturtheoretiker Jonas Geist die Spannungen zwischen Idee und Wirklichkeit des Neuen Frankfurt mittels des Dokumentarfilms archäologisch untersucht.


Förderung

Der Ankauf der Frankfurter Küche wurde gefördert durch die Stiftung Preußische Seehandlung in Berlin.

Der Einbau der Küche wurde maßgeblich durch die Partnerschule des Museums, die marcel-breuer-schule (OSZ) in Berlin Weißensee, unterstützt.