Hermann Muthesius wird 1861 in Großneuhausen in Thüringen geboren. 1881 beginnt er zunächst das Studium der Kunstgeschichte und Philosophie in Berlin, danach wechselt er an die Technische Universität und studiert bis 1887 Architektur. Nebenbei arbeitet Muthesius bei Paul Wallot, dem Erbauer des Reichstages. Nach seinem Studium ist er während fast vier Jahren beim Architekturbüro Ende & Böckmann in Tokio angestellt. 1891 wird er Regierungsbaumeister in Berlin, von 1896 bis 1903 arbeitet er als technischer Attaché für Architektur an der deutschen Botschaft in London. Ab 1904 ist Muthesius als Geheimrat im Preußischen Handelsministerium und als selbständiger Architekt tätig. 1907 gehört er zu den Mitbegründern des Deutschen Werkbunds, dessen zweiter Vorsitzender er bis 1916 bleibt. Muthesius stirbt 1927 bei einem Unfall.
Während seiner Zeit in London befasst Hermann Muthesius sich intensiv mit der Arts and Crafts – Bewegung und verfasst zahlreiche Schriften über englische Architektur, deren Bekannteste Das englische Haus von 1904 wird. Sein Augenmerk gilt dabei vor allem dem englischen Landhaus, das für ihn beispielhaft Zweckmäßigkeit und Natürlichkeit verbindet. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland baut Muthesius bis zu seinem Tod über hundert Häuser, zumeist Landhäuser oder Vorstadt-Wohnhäuser, viele davon in der Umgebung von Berlin. Hervorzuheben sind aber auch seine Bauten für die Seidenweberei Michels & Cie in Novawes bei Potsdam (1912) und die Großfunkstation Nauen (1916–20).
Nachdem er bereits 1906, nach der Dresdner Kunstgewerbe-Ausstellung, die Forderung nach Zusammenarbeit von „Industrie und Künstlertum“ (Kunstgewerbe und Architektur. S. 136) verlauten ließ, ist er 1907 Mitbegründer des Deutschen Werkbundes. Sinn und Zweck des Werkbundes ist für ihn, die Qualität und Form der Massenprodukte zu verbessern, die Ansprüche der Verbraucher zu heben und somit letztlich auch eine nationale Kultur auszubilden.
1914 kommt es auf der Werkbund-Ausstellung in Köln zur sog. Typisierungsdebatte, als Muthesius seine programmatischen Leitthesen verkündigt. Seine Thesen beginnen wie folgt:
Die Architektur und mit ihr das ganze Werkbundschaffensgebiet drängt nach Typisierung (…). Nur mit der Typisierung (…) kann wieder ein allgemein geltender, sicherer Geschmack Eingang finden.
Die Werkbundarbeit der Zukunft, S. 32
Diese Thesen provozieren heftigen Widerspruch von Henry van de Velde und anderen Mitgliedern, die diesen Forderungen ihr Konzept von künstlerischer Freiheit und Individualismus entgegenstellen.
Nach dem ersten Weltkrieg baut Muthesius noch eine Reihe vorwiegend klassizistischer Häuser, wird aber in Anbetracht der neuen Entwicklungen der Architektur allmählich zum Außenseiter. Seit den 70er Jahren, nach einer von Julius Posener organisierten Ausstellung und der Übersetzung seines Hauptwerks ins Englische, nimmt das Interesse an ihm wieder zu.
Literatur
Hermann Muthesius: Das englische Haus. Berlin 1904.
Hermann Muthesius: Kunstgewerbe und Architekur. Jena 1907.
Hermann Muthesius: Die Werkbundarbeit der Zukunft und Ansprache darüber von Ferdinand Avenarius u.a. In: Friedrich Naumann: Werkbund und Weltwirtschaft. Der Werkbundgedanke in den germanischen Ländern. Jena 1914.
Architectural Association (Hrsg.): Hermann Muthesius. 1861–1927. (Ausstellungskatalog). London 1979.
Michael Bollé: Die Großfunkstation Nauen und ihre Bauten von Hermann Muthesius. Berlin 1996.
Deutscher Werkbund u. d. Werkbund-Archiv (Hrsg.): Die Zwanziger Jahre des Deutschen Werkbunds. Giessen 1982.
Hans-Joachim Hubrich: Hermann Muthesius. Die Schriften zu Architektur, Kunstgewerbe, Industrie der Neuen Bewegung. Berlin 1980.
Fedor Roth: Hermann Muthesius und die Idee der harmonischen Kultur. Berlin 2001.
Laurent Stalder: Wie man ein Haus baut. Hermann Muthesius (1861–1927) – Das Landhaus als Kulturgeschichtlicher Entwurf. Dissertation ETH Zürich 2002.
Werkbund-Archiv (Hrsg.): Hermann Muthesius im Werkbund-Archiv. Berlin 1990.