„Wie ein verhaltenes Gähnen…..“
Dem Verband gehörte 1914 nicht nur jene längst etablierte Avantgarde deutscher Architekten und Künstler-Entwerfer an, die 1907 noch als kleiner, exklusiver Zirkel seine Gründung betrieben hatte, sondern auchdie umsatzstarken, hochorganisierten Großbetriebe der deutschen Fertigwarenindustrie, die nach Künstler-Entwürfen produzierten, sowie ein bedeutendes Spektrum von Publizisten, Politikern und anderen Repräsentanten des öffentlichen Lebens. Der Deutsche Werkbund hatte sich im Laufe seines nur siebenjährigen Bestehens bedeutenden Einflußverschafft. Allein der Umfang seiner Kölner Veranstaltung – über 50 von den Architekten des Bundes entworfene Einzelgebäude, die ihrerseits wieder mit Ausstellungsobjekten gefüllt waren, Kosten von fast 5 Millionen Reichsmark, die das Unternehmen verschlang – legte ein beredtes Zeugnis davon ab. (1)
Die Darbietungen sprachen aber auch von den Kompromissen, die der Preis dafür waren. Die Anpassung an marktgängige geschmackliche Standards undsicher auch ein gewisser Verschleiß angesichts übervoller Auftragsbücher bei der älteren Architektengeneration, die vor allem beschäftigt wurde, brachten in der Ausstellungsarchitektur meist nur ein müdes Mittelmaß hervor. Flaue neoklassizistische Anklänge, einmäßig modernisierter Traditionalismus, ein ausgeprägter Gestus bürgerlicher Saturiertheit und ein erschreckender Mangel an Kühnheit beherrschten das Bild. Scharfzüngig vermerkte die zeitgenössische Kritik das Ergebnis einer „schier amtlichen Langeweile, die durch diese ephemeren Schöpfungen wie ein verhaltenes Gähnen“ ging (2), als hätte sich eine Versammlung seniler Akademiker diese Sommerarchitektur mühsam abgerungen“ (3). Von den Impulsen künstlerischer Innovation und allgemeiner kultureller Erneuerung, von denen die Reformbewegung einstausging, war nur noch wenig zu spüren.
Wenn die Schau später dennoch der wahre öffentliche Geburtsort der dynamischen Architektur (4) genannt wurde, so war das einigen wenigenAusnahmen zu danken. Sie hatten allerdings einen schweren Stand.
Unter den Architekten zählte bedingt van de Velde als einziger Vertreter der Gründergeneration dazu. Er hielt weiterhin das Banner seines Künstlertums hoch und widerstand mit einem Pathos, dass einerseits komische Züge annahm, der von Muthesius propagierten Entwicklung vom Künstler zum „Spezialisten in Geschmackssachen“ (5). Inden weichen, fließenden Umrisslinien seines Kölner Werkbund-Theatersklang von fern zwar noch der längst verfemte Jugendstil an, er bemühtesich zugleich aber um eigenständige Ausdrucksformen für den Gussbetonals neues Baumaterial.
Wie Taut war Walter Gropius jüngst erst Mitglied im Werkbund geworden und der einzige Vertreter der jüngeren Generation, der einen bedeutenden Bauauftrag erhielt. Er zeigte an der Rückfront seines Bürogebäudes die erste nun ganz ihrer tragenden Bestimmung enthobene Vorhangwand aus Glas. Seine runden, verglasten Treppentürme, die die Fassade flankierten, wurden zu Prototypen eines Architekturmotivs, das bis heute geläufig ist.
Die Umstände, unter denen Tauts Glashaus in die Werkbund-Ausstellung geriet, sind unklar. Das Glashaus gehörte nicht, wie Fabrik und Theater, zum ursprünglichen Bauprogramm der Ausstellung; insoferner hielt Taut für das Haus auch keinen eigentlichen Bauauftrag seitens der Ausstellungsleitung, sondern, ähnlich anderen Reklamepavillons,einen Platz angewiesen und einen finanziellen Zuschuss bewilligt, der allerdings nur einen Bruchteil der Bausumme deckte. Diese von Taut immerhin als Erfolg gewürdigten Zugeständnisse waren – neben der Protektion von Karl Ernst Osthaus, dem ebenso vehementen wie isolierten Fürsprecher jüngster künstlerischer Avantgardeströmungen in der Ausstellungsleitung, und vielleicht auch der Empfehlung seines ehemaligen Lehrers Theodor Fischer, der die Haupthalle baute, sicher dem Ruf zu verdanken, den er sich als Architekt zweier origineller Ausstellungs-Pavillons bereits erworben hatte. Für die Ton- Zement- und Kalk-Industrie-Ausstellung 1910 in Berlin war das höchst bemerkenswerteTräger-Verkaufs-Kontor entstanden; sein für die Internationale Bau-Ausstellung 1913 in Leipzig entworfenes Monument des Eisens nahm das Werkbund-Jahrbuch 1914 sogar in die gezeigte Bildauswahlvorbildlicher Industriebauten auf. (6)
Allerdings ordnet sich das Glashaus auch der Reihe dieser Industrie-Pavillons typologisch nur bedingt ein. Offenbar trat weder eine einzelne Firma noch ein industrieller Interessenverband als Auftraggeber auf. Taut selbst fungierte als Bauherr; seiner Verantwortung und Initiative oblag es, Sachleistungen und finanzielle Zuwendungen seitens der beteiligten Firmen zu requirieren, was mitgroßen Komplikationen verbunden war und schließlich zu der schmerzlichen Konsequenz führte, dass er selbst auch Hauptfinanzier des Glashauses blieb. Aus den letztlich entstandenen Kosten hatte für diedamals bedeutende Summe von 20.000 RM das junge Baubüro Taut &Hoffmann aufzukommen. Dieser Fall war im gesamten Spektrum der Kölner Ausstellungsbauten völlig einmalig.
Ein wenig war das Glashaus also ein Werkbundgebäude, und ein wenig wares auch ein Reklamepavillon der Glasindustrie. Vor allem aber, ideell wie finanziell, war es Tauts eigenes gläsernes Haus.
Dieser ungewöhnliche Status und die finanzierungstechnischen Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, trugen sicher dazu bei, daß das Glashaus sehr spät in die Ausstellungsplanung aufgenommen wurde; knapp vier Monate vor der Eröffnung erst schien seine Realisierung gesichert, und die Bauarbeiten konnten begonnen werden.
Auch zeugt seine abgedrängt Lage außerhalb des eigentlichen Ausstellungsgeländes von dem Zögern, mit dem man den Bau aufnahm. Wir wollen die Eigenart dieser Plazierung zum Motiv unserer weiteren Annäherung machen.