1907 malt Pablo Picasso „Les Demoiselles d’Avignon“. Das war die Revolte, von der die Revolution des Kubismus ausging.
In Deutschland wird, von Amerika übergreifend, der konjunkturelle Aufstieg durch eine scharfe Zwischenkrise unterbrochen. Die Preissteigerungen erreichen im Winter 1907 ihren Höhepunkt. 192430 Arbeiter treten in den Streik.
Lenin flieht ins Ausland und Stalin überfällt zugunsten der bolschewistischen Parteikasse einen Geldtransport. Die Zeitlupe als filmtechnische Neuerung kommt auf.
Leo Baekeland synthetisiert aus Phenolharz und Formaldehyd den phenoplastischen Kunststoff Bakelit.
Die Schriftstellerin Daphne du Maurier kommt zur Welt und der Schriftsteller Alfred Jarry stirbt.
Karl Liebknecht wird wegen seiner Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt.
Die AEG stellt Peter Behrens als künstlerischen Beirat ein.
Bruno Paul wird Direktor der Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums – heute Martin-Gropius-Bau.
Die Berliner Handelshochschule beruft Hermann Muthesius auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für angewandte Kunst.
Der Pfarrer Friedrich Naumann erringt mit dem ersten amerikanisch geführten Wahlkampf der deutschen Parteiengeschichte ein Reichstagsmandat für die Liberalen.
Hans Castorp, der Protagonist von Thomas Mann’s berühmtem Roman, betritt den Zauberberg.
Der Deutsche Werkbund wird gegründet.
Werkbund ist bis heute ein Kunstwort geblieben und anders als etwa das Bauhaus, hochgradig erklärungsbedürftig. Der Werkbund war keine Schule, sondern ein Interessenverband – eine Lobby, wenn man so will. Seine Zielstellungen waren komplexer und diffuser, sein Wirkungsspektrum aber hat sich besonders in den sieben Jahren vor dem ersten Weltkrieg beispiellos breit und nachhaltig gestaltet. Das moderne Industriedesign wurde vom Werkbund nicht nur befördert: es ist mit ihm und durch ihn entstanden – das ist eine seiner historischen Leistungen.
Es war eine noch kleine, aber durchaus illustre Versammlung, die damals in München zusammentraf, um einen Verband zur Förderung der modernen Formgebung zu gründen – wobei das Anliegen der Formung von Anfang an nicht nur die dingliche Umwelt betraf, sondern soziale, ökonomische und allgemein kulturelle Forderungen mit einschloss.
Die längst klassisch gewordene Avantgarde moderner Künstler-Entwerfer und Architekten des frühen 20. Jahrhunderts zählte zu den Gründern: Hermann Muthesius, Peter Behrens, Bruno Paul, Josef Hoffmann, Henry van de Velde, Walter Gropius, Bruno Taut und andere kamen wenig später dazu. Darum gruppierte sich bald auch die Avantgarde der in rapidem Aufschwung begriffenen deutschen Industrie, berühmte Betriebe der Fertigwarenindustrie zählten dazu: die Silberwarenfabrik Peter Bruckmann Heilbronn, die Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst (später: Deutsche Werkstätten Hellerau), die Wiener Werkstätten, Käthe Kruse und ihre Puppenfabrik, die Porzellanfabrik Rosenthal & Co: um nur Beispiele zu nennen. Aber auch die AEG, Bosch und Siemens, Bayer Leverkusen und die BASF, – die jüngst erst entstandenen großen Konzerne der Chemie- und Elektroindustrie zählten dazu. Eine Zahl einflussreicher Multiplikatoren (Literaten, Verleger, Redakteure) verliehen dem Bund publizistische Resonanz, und eine parteipolitisch vernetzte liberale Gruppierung – Friedrich Naumann, Theodor Heuss, Gustav Stresemann – sorgte zusätzlich für öffentlichen Einfluss sowie für organisationspolitisches und propagandistisches Know-how.
Das Berufsbild des Industriedesigners kristallisierte sich unter dem Einfluss des Werkbundes heraus. Eine Anzahl prominenter Markenprofile wurde geschaffen. Das berühmteste Bespiel: Peter Behrens‘ Funktion als künstlerischer Beirat der AEG, wo er auf die hergestellten Produkte, die Maschinen, die Ladeneinrichtungen, das Geschäftspapier und die Fabrikarchitektur gleichermaßen gestalterisch einwirkte und ein frühes Beispiel einer Corporate Identity schuf.
Den Begriff Qualität, die Forderung von Qualitätsarbeit hatte der Werkbund als Frage von ästhetischer wie volkswirtschaftlicher Relevanz auf seine Fahnen geschrieben.
Und er hatte Erfolg. Nicht so sehr, was die künstlerische Prägnanz popularisierter Erscheinungsformen anging, wohl aber, was die Breitenwirksamkeit seiner Arbeit betraf. Was sich als gestalterische Moderne seit Beginn der 10er Jahre heute noch ablesbar in Deutschland durchsetzte – im Gros der Produktgestaltungen, in der Architektur, der Druckgraphik, der Warenwerbung – war wesentlich seinem Einfluss zu danken.
1914 fand in Köln die erste Werkbund-Ausstellung statt – ein Unternehmen, das sich als Wegstein der Architektur- und Designgeschichte etablierte. Die Bauhaus-Gründung 1919 wurde vom Werkbund gefördert; viele Künstler waren in beiden Verbänden beheimatet. Um 1930 kamen die berühmten Werkbund-Siedlungen in Stuttgart, Breslau und Wien zustande – um einige herausragende Einzelaktivitäten zu nennen.
Die Jahre 1933-45 sind seit einiger Zeit erst ins Blickfeld der Werkbundforschung geraten. Allmählich schärft sich der Blick dafür, wieviel der modernen Warenproduktion während der Zeit des Faschismus unangefochten bestand – was noch ungelöste Fragen nach den politischen Implikationen von Design aufwirft. Der Werkbund selbst wurde 1938 aufgelöst und nach dem Krieg 1947 wieder gegründet.
Heute haben sich die Akzente verschoben.
„War vor dem 2. Weltkrieg wichtigstes Thema die Erneuerung der Produktgestaltung, setzt sich der Werkbund heute mit den zerstörerischen Folgen der neuen technischen Kapazität auseinander. Sein traditionell zentrales Thema – Gestaltung – muss sich zwangsläufig auf die ökologischen, sozialen, kulturellen Grundlagen von Stadt und Land ausdehnen, so lange die Utopie einer humanen Kultur der Moderne an ihren eigenen Voraussetzungen zu ersticken droht.“
(aus dem Faltblatt des Deutschen Werkbundes, Frankfurt 1996)