Der Deutsche Werkbund – Ein historischer Abriss

Der Deutsche Werkbund wurde nach einer Inkubationszeit von ca. 10 Jahren, die ernst zu nehmende Spötter für seine kreativste Phase halten, 1907 in München von Künstlern und Firmen gegründet und besteht mit einer 13jährigen Unterbrechung (1934-1947) bis heute fort. Im Gegensatz zum Bauhaus, das, sieht man von seiner US-amerikanischenTochter ab, nur 14 Jahre existierte (1919-1933), heute aber jedem Gymnasiasten ein Begriff ist, blieb der Deutsche Werkbund (DWB) bis in die Gegenwart allenfalls als Vokabel bekannt; seine Zielsetzungen bedürfen immer einer Erläuterung. Sie sind komplexer und auch diffuser als die des Bauhauses, das mit dem Neuen Bauen identifiziert wird.

Der Werkbund war nie, wie das Bauhaus, eine künstlerische Schule; wer für ihn ein Bild sucht, der begreife ihn als eine Art von Lobby. In deren Motivation und Zielsetzungen verschlingen sich untrennbar zwei Tendenzen, deren Einheit heute schwer nachvollziehbar ist: Es ist die merkwürdige Einheit von ästhetischem und volkswirtschaftlichem Denken. Im wilhelminischen Deutschland war es möglich, für Moral in der Warenästhetik zu plädieren und dabei gleichzeitig die Eroberung der Führungsrolle auf dem Weltmarkt anzuvisieren.

So changierte die vom Werkbund entworfene Forderung „deutscher Qualitätsarbeit“ unmerklich zwischen ethisch motivierten und marktstrategischen Überlegungen; dasselbe Changieren ist auch bei den Forderungen festzustellen, bedeutende Künstler für Entwurfsarbeiten heranzuziehen oder gut ausgebildete und sozial befriedigte Arbeiter für die Produktion bereitzustellen – das aufgeklärte Bürgertum hatte die russische Lektion von 1905 durchaus gelernt.

Im Gegensatz zur Kunstgewerbebewegung war der Werkbund von vornherein auf die Industrie und die Massenproduktion orientiert, auch wenn das Handwerk, besonders stark nach der Novemberrevolution, einbezogen blieb. In den 1920er Jahren wurde der Werkbund, zusammen mit dem Bauhaus und bei häufiger Personalunion, zum Promotor des Neuen Bauens und der rationalisierten Form („Neue Sachlichkeit“) in der Warenästhetik.

Die Nazi-Bewegung denunzierte dieses Form-Denken schon früh als „Kultur-Bolschewismus“ und löste 1934 den Werkbund in die Reichskulturkammer auf; unübersehbar fand aber die vom Werkbund propagierte Produktkultur ihren Durchbruch gerade in dieser Zeit des „Dritten Reiches“, auch wenn dessen politische Kultur der Mehrheit des Werkbundes widerstrebte.

Schon bald nach Kriegsende formierte sich der Bund neu und mischte sich erfolgreich in die Entwicklung der neuen Alltagsästhetik ein – vom 50-Pfennig-Stück bis zum Gebäude für den Bundestag. Eine Kontinuität besonderer Art stiftete der Umstand, dass der langjährige Geschäftsführer des DWB in den 1920er Jahren (und Kurator des historischen Werkbund-Archivs, das 1944 durch Bomben zerstört wurde) zum ersten Bundespräsidenten der Republik gewählt wurde.

Um 1960 machte der Deutsche Werkbund mit seiner Kampagne „Die große Landzerstörung“ als erster auf die ökologische Katastrophe als Folge hemmungsloser Industrialisierung und profitorientierter „Flächennutzungsplanung“ aufmerksam; am Ende des Jahrzehnts fanden selbst die Namen kubanischer Revolutionsführer Eingang in die Debatten, die in der Frage kulminierten: „Wie politisch darf der Deutsche Werkbund sein?“. Der Fragesteller, wie wenige vertraut mit der Werkbund-Geschichte (1), formulierte ironisch; der Werkbund war immer politisch, nur wusste er es früher besser. Neue Kräfte traten in den Werkbund ein (2); Anfang der 1980er Jahre wurde ein Manifest „Steine aus Saarbrücken“ proklamiert, das die Hausbesetzerbewegung unterstützte.

Das Brot der frühen Jahre: Einheit von Kunst und Industrie, ist heute ungenießbar geworden; seit Jahren havariert der Werkbund an einer Zerreißprobe, in der eine Entscheidung fällig wird.


Anmerkungen

(1) Julius Posener (1904-1996), Ehrenvorsitzender des Werkbund-Archivs.

(2) Sie gründeten u.a. das Werkbund-Archiv als selbstständigen Verein.


Aus: Alchimie des Alltags, Reihe Werkbund-Archiv Nr. 15