Erster Teil der Ausstellungsreihe 111/99
1909 – bereits zwei Jahre nach der Gründung des Deutschen Werkbunds 1907 – entsteht in Hagen das erste Werkbund-Museum: das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe (DM).
Bis zu seiner Auflösung Anfang der 1920er Jahre nach dem Tod seines Gründers, dem Unternehmer und Werkbund-Mitglied Karl Ernst Osthaus, entwickelt sich das Museum mit seiner ungewöhnlichen, auf Zirkulation und Vernetzung ausgerichteten Struktur zu einer effektiven Förderstelle für die moderne Gestaltung alltäglicher Güter.
Das Museum organisiert Wanderausstellungen zur zeitgenössischen Produktkultur, berät Unternehmen, den Handel sowie Gestalter*innen und organisiert Fortbildungen und Vorträge zur modernen Gestaltung. Darüber hinaus lässt es moderne Bauten fotografisch dokumentieren und lobt Schaufensterwettbewerbe aus. Mit der Verlagsfirma F. W. Ruhfus in Dortmund veröffentlicht das DM die Reihe „Monographien Deutscher Reklame-Künstler“.
Über seine „Ausstellungszentrale“ verleiht das DM in seiner aktivsten Zeit um 1913/14 bis zu 26 Ausstellungen mit Exponaten und Präsentationselementen an Museen, Kunst- und Gewerbevereine, Bibliotheken, Handelshochschulen oder ähnliche Lehranstalten im In- und Ausland. Die auszuleihenden Ausstellungen verdeutlichen das breite museale Spektrum in Bezug auf die zeitgenössische Produktion: Es reicht von Gebrauchsgrafik über Tapeten und Bodenbeläge, Textilkunst, Glasmalerei, Metallarbeiten, moderne Baukunst, mustergültige Lehrmittel, Flechtarbeiten, Keramik und Glas sowie Stein-, Holz- und Lederarbeiten.
Die Sammlung des DM vereinigt in ihrem Ergebnis nicht nur die wichtigsten Künstler*innen des Deutschen Werkbunds und damit der frühen Moderne, sondern veranschaulicht auch die widersprüchlichen Tendenzen der Kunstgewerbebewegung vor dem Ersten Weltkrieg. Das DM, das erste, im Sinne einer Modernisierungsagentur arbeitende Werkbund-Museum stellt seine Arbeit zu der Zeit ein, in der das Bauhaus in Weimar gegründet wird.
Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge stellt in der Ausstellung „Reklamekunst statt Kunstgewerbe?“ eine kürzlich erworbene Sammlung kommerzieller Grafik aus dem Kontext des DM vor. Die Gegenüberstellung von Reklamekunst und Kunstgewerbe deutet die beiden Pole Ökonomie und Kunst an, zwischen denen sich der Deutsche Werkbund bewegte, der als Interessenverband sowohl kulturelle als auch wirtschaftliche Ziele verfolgt hat.
Bei den hier vorgestellten Druckmustern handelt es sich um einen historischen Teilbestand aus der am häufigsten gezeigten Wanderausstellung des DM mit dem Titel Reklame und kaufmännische Drucksachen sowie der Ausstellung Modernes Buchgewerbe. Es kann nur schwer eingeschätzt werden, wie repräsentativ diese Auswahl ist, da das Museum seine Ausstellungen häufig in mehreren Versionen angeboten hat.
Das museale Sammlungsinteresse für diese alltäglichen Ephemera zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist ungewöhnlich. Karl Ernst Osthaus, der Direktor des DM, hat die Sammlungswürdigkeit hervorgehoben und mit der Vorbildhaftigkeit verknüpft: „Sie [die Drucksachen] alle führen ein viel zu flüchtiges Dasein und sind im Verkehr oft längst nicht mehr anzutreffen, wenn ihre Vorbildlichkeit ausser Frage steht.“ (1909)
Insbesondere anhand dieser Reklamedrucksachen wird eine stringente Entwicklung vom Jugendstil zu den sachlich typographischen Konzepten eines Lucian Bernhard, Julius Gipkens, Fritz Hellmuth Ehmcke, Julius Klinger oder Peter Behrens nachvollziehbar. Dabei ist der Grafiker Lucian Bernhard hervorzuheben, der das moderne Sachplakat zur Perfektion geführt hat, und der auch verantwortlich für die Geschäftsausstattung des DM war.
Zur Ausstellungsreihe
Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge zeigt im Kontext des Bauhausjahres seit November 2018 bis Ende 2019 eine Ausstellungsserie unter dem Titel »111/99 – Fragen zur Gestaltungssprache der Moderne«.
Zwölf Jahre liegen zwischen der Gründung der Reformbewegung Deutscher Werkbund 1907 und der stilbildenden Kunstschule Bauhaus 1919 – im Jahr 2018 wurde der Deutsche Werkbund 111 und das Bauhaus 99 Jahre alt. Die Jubiläumsdaten als Zahlenspiel aufgreifend, hinterfragt das Werkbundarchiv – Museum der Dinge die programmatischen Schnittmengen beider Institutionen in der Entwicklung einer Gestaltungssprache der Moderne.
Warum haben sich bestimmte Merkmale als Kennzeichen für Modernität entwickelt und gelten trotz aller kritischen Reflexion bis heute als gesetzt: Materialien wie Glas, Stahl, Beton; Begriffe wie Sachlichkeit, Dekorlosigkeit, Funktionalität oder die Reduktion der Farbigkeit auf die Grundfarben und das Spektrum zwischen Weiß und Schwarz. Warum hat sich das von sozialen, politischen und ökonomischen Debatten geprägte Lebensreformkonzept von Werkbund und Bauhaus auf die starre Eindeutigkeit eines rein ästhetisch verstandenen Gestaltungsrezepts oder Musterbuchs reduziert?
Diese Aspekte werden in drei aufeinander folgenden Ausstellungen thematisiert:
Reklamekunst statt Kunstgewerbe
23. November 2018 – 11. März 2019
Einzelstück oder Massenware?
4. April – 9. September 2019
Dekor als Überbegriff?
11. Oktober 2019 – 13. April 2020