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Unbeständige Ausstellung der Bestände des Werkbund-Archivs

13. Jan 1995 – 11. Jan 1998

Die „Unbeständige Ausstellung der Bestände des Werkbund-Archivs“ war ein langfristiges Projekt zu einer ersten Ausstellung der eigenen Sammlung, das in mehreren Phasen von 1994 bis 98 realisiert wurde.[1] Die im Laufe von zwei Jahrzehnten – eher als Schleifspur thematischer Ausstellungsprojekte – angesammelten Gegenstände und Dokumente des Museums wurden gesichtet, die Sammlungstätigkeit und die Ausstellungsarbeit wurde in einen neuen Zusammenhang gebracht. Damit sollte eine deutlichere Identität als Museum gewonnen werden ohne die offene, unkonventionelle Sammlungsstruktur aufzugeben.

Deshalb der schillernde Titel: Eine unbeständige Bestände-Ausstellung. Ein Changieren zwischen dem scheinbar Gesicherten, Geordneten, Eindeutigen des Bestandes und der Veränderlichkeit, der Offenheit, dem Mehrdeutigen, das im Umgang mit diesem Bestand lag. Im Rahmen der „Unbeständigen“ sollte – wie durch ein Kaleidoskop – eine sich stetig verändernde Sicht auf die Sammlung gewonnen und dem Besucher ermöglicht werden. Deshalb bestand die Ausstellung aus einzeln komponierten, austauschbaren Räumen, die sich jeweils auf einen Sammlungsbereich des Werkbund-Archivs bezogen.

Der zentrale inhaltliche Aspekt der institutionellen Selbstreflexion, der museologische Blick auf die museale Sammlungsarbeit zeigte sich u.a. in durchgängigen spezifischen Gestaltungselementen: die ausgestellten Dinge waren gestapelt, aufgereiht, angesammelt, gruppiert, zugeordnet, inventarisiert, katalogisiert.

Da die Räume für eine dauerhafte Präsentation der gesamten Sammlung nicht vorhanden waren, galt es außer den wechselnden Einzelinstallationen einen Raum zu schaffen, indem sich der Betrachter ein Bild von der Sammlung des damaligen Werkbund-Archivs machen konnte. Diesem Ziel entsprach die resümierende, dauerhafte Eingangsinstallation in der „Unbeständigen Ausstellung“ im damaligen Ausstellungsentree, einem längeren, relativ breiten Flur. Im Kontext dieses Raumbildes war die Museumssammlung fotografisch präsent – in der Art eines Stilllebens. Nicht die Dinge selbst, sondern Bilder von den im Museum stillgestellten Dingen wurden gezeigt – eine Einstimmung und Sensibilisierung für das, was mit den Dingen im Museum geschieht, die Reduzierung des Objekts auf seine Zeichenfunktion.

Es wurde ein den räumlichen Proportionen im Ausstellungsentree angepasstes großes Regal gebaut, in das die verschiedenen Sammlungsbereiche nacheinander eingeräumt und fotografiert werden konnten. Diese Fotografien wurden dann auf Stoff gedruckt und zu einer räumlichen Struktur zusammengefügt, die an eine Galerie oder Passage erinnerte.

Entstanden ist ein Gang mit 17 „Regalen“, die verschiedene Sammlungskomplexe vorstellten, ohne den Anspruch der Vollständigkeit zu erheben. Das Regal als Motiv bedeutete die adäquate bildliche Umsetzung des Depot- und Sammlungsgedankens. Es handelte sich um einen virtuellen Sammlungsraum, eine Art „Traumhaus“: kein festes Gehäuse, sondern ein zeltartiger, transitorischer Raum, der eine zugleich offene und geschlossene Struktur hatte, der einen zugleich real begehbaren und einen symbolischen Ort bildete.

Anhand der fotografierten Regale konnte man etwas über die Art des Sammelns, d.h. die Sammlungsfelder des Museums erfahren: Werkbundspezifische Sammlungskomplexe wie die Werkbundmarken bzw. die Produkte von Werkbundkünstlern und -firmen (z.B. Braun), Material-orientierte Sammlungen wie Kunststoff und Aluminium sowie Materialsurrogate, stilhistorische Sammlungsbereiche wie Jugendstil, themenorientierte Bereiche wie medienabhängiges Spielzeug unserer Gegenwart, zeithistorisch motivierte Sammlungsfelder wie Alltagskultur der DDR, Objekte der Kriegs- und Nachkriegszeit.

Eine assoziative Bezugnahme auf die Tradition der Kunst- und Wunderkammern des 16. und 17. Jahrhunderts, die in der Eingangsinstallation der „Unbeständigen“ anklingt, erschien für das Werkbund-Archiv nahe liegend; die Anknüpfungspunkt waren die offene, noch nicht auf Ausschluss bedachte Systematik der Wunderkammern, das scheinbare Sammelsurium merkwürdiger Dinge und der Anspruch, ein Bild der Welt in der Vielfalt ihrer Erscheinungen zu repräsentieren.

Im Werkbund-Archiv war diese historische Bezugnahme verbunden mit dem Versuch der „Unbeständigen“, Sammeln und Ausstellen neu und anders zusammen zu denken. Das Museum hat stets versucht, Alternativen zu einer mittels Objekten illustrierten, linearen Geschichtserzählung zu entwickeln. Das erklärt die bestehende hohe Affinität zu Walter Benjamin und seinen Denkbildern. Benjamin beschreibt die adäquate Methode das Verhältnis zur Geschichte zu gestalten: „Die wahre Methode, die Dinge sich gegenwärtig zu machen, ist, sie in unserem Raum (nicht uns in ihrem) vorzustellen. (…) Die Dinge, so vorgestellt, dulden keine vermittelnde Konstruktion aus „großen Zusammenhängen“.“[2]

Entsprechend dieser konzeptionellen Ausrichtung war es schlüssig, dass sich hinter der dauerhaften Eingangsinstallation einzelne wechselnde Rauminstallationen anschlossen.

Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge hat die Ausstellung als eigenständiges künstlerisches Medium begriffen, d.h. den neutralen Museumsraum weitestgehend aufgegeben und räumliche Bilder entworfen, die den sich bewegenden Besucher berücksichtigen.  In diesem Zusammenhang wurde der Einsatz zentral gesteuerter, theatraler Bespielungselemente (Licht, Ton, Bildprojektion) auf einem hohen Niveau erarbeitet, die eine zeitweilige Veränderung und Bewegung in der Ausstellung erzeugten und das Element der Verzeitlichung ins Spiel brachten. In der „Unbeständigen Ausstellung“ wurde diese spezifische Ausstellungsästhetik des Museums verfeinert und die theatralen Bespielungselemente sehr bewusst, nur zeitweilig und abwechselnd mit Phasen der vollständigen Stillstellung eingesetzt.

Zwei dieser „Raumbilder“ im Detail:
Das Raumbild „Apparatekultur“, ein Titel der sich von dem Philosophen Vilem Flusser ableitet, zeigte die unseren Alltag bestimmenden, zahlreichen mechanischen, elektrischen und elektronischen Gerätschaften, die sich in der Museumssammlung befanden. In insgesamt 16 Hochregalen (Alu-Lagerregale bis zur ca. 5 m hohen Decke) waren die Dinge nüchtern nach Funktionsgruppen geordnet, d.h. jeweils in einem Regal die Fernseher, die Radios, die Küchenmaschinen und Mixer, die Schreib- und Rechenmaschinen, die Staubsauger, die Telefone usw.. Die einzelnen Regale waren zu jeweils vier quadratischen Blöcken zusammengestellt und diese standen mit gleichem Abstand zueinander auf einem etwa quadratischen Raumfeld, dezentriert in einem großen, dunklen und mit schwarzem Boden ausgelegten Raum (ca. 300 qm). Diese Konstellation vermittelte das Bild einer Maschinerie, eines Gesamtapparats.

Um die inhaltliche Dimension von Technik im Lebensalltag zu vermitteln, wurde der Raum mit dem theatralen Element einer Klang- und Lichtinstallation zeitweilig „bespielt“, d.h. die Phasen der ruhigen Betrachtungsmöglichkeit bei neutraler Beleuchtung wurden in einem festgelegten Rhythmus unterbrochen. Es veränderte sich das Licht und, dramaturgisch damit verknüpft, hörte man eine Folge technischer Geräusche und Klänge. Ein Teil der ausgestellten Geräte wurden nicht nur virtuell, d.h. über ein entsprechendes Geräusch „angeschaltet“, sondern auch real in Funktion gesetzt.

Der grundlegende alltägliche Aspekt technischer Kultur sollte mit dieser Installation in Erinnerung gerufen werden: Die Apparate versprechen, den Menschen zu bedienen, und fordern das Bedient-Werden. Da die Verzahnung von Mensch und Technik auf einer immateriellen Ebene funktioniert, z.B. durch appellative Ton- und Lichtsignale der Maschinen, auf die jeder mit seiner Wahrnehmung eingestellt ist, war die Ton- und Lichtinstallation das adäquate Mittel zur Steigerung der Gesamtwirkung des Ausstellungsraums.

Durch die zeitweilige künstliche Belebung der musealisierten Objekte, konnte der grundsätzliche Aspekt ihrer musealen Stillstellung, das Herausreißen aus ihrem ursprünglichen Kontext, sinnlich erfahrbar gemacht werden.

Eine zweite Rauminstallation aus der zweiten Phase des Projektes (1996) zeigte Fundstücke aus verlassenen Sowjetkasernen rund um Berlin, sämtlich Selbstbau-Objekte insbesondere Antennen, die vom Werkbundarchiv gefunden und in seine Sammlung aufgenommen wurden. Aus Blechresten, Metallstangen, Plastikstücken, Lattenfragmenten, Draht, Schnur und Kabel von den russischen Soldaten konstruiert und zum Rundfunk- und Fernseh-Empfang benutzt, waren sie beim Abzug der Armee in den 1990er Jahren als Müll zurückgelassen worden.

Im Kontext der ehemaligen Kasernen und auch im Alltagsleben Russlands bzw. der GUS-Staaten waren diese Objekte von größter Banalität, Notprodukte. Natürlich repräsentierte diese Ansammlung nicht den technischen Standard der Roten Armee, aber trotzdem waren die Fundstücke dem dort herrschenden Mangel in Bezug auf die individuellen Bedürfnisse der Soldaten und im alltäglichen Kasernenleben geschuldet.

Trotz der Banalität der Objekte und der Armut des Herkunftszusammenhangs haben die Antennen eine eigenartige, raumfüllende, skulpturale Kraft. Jede Antenne ist trotz ähnlicher Formen und Materialien ein Unikat. Ihre Ausstellung im musealen Kontext rief ein Changieren zwischen der Banalität des Gegenstandes und seiner ästhetischen Ausstrahlung hervor, die durch die Art der Präsentation noch zugespitzt wurde, da jede Antenne einzeln auf einem Stück Baumstamm befestigt war, der als Sockel fungierte. Die Objekte waren als Skulptur lesbar, und es gab Besucherinnen und Besucher, die in der Präsentation eine Kunstinstallation vermuteten. Gleichzeitig war es eine einfache und sinnvolle Präsentationsweise, die sich aus den vorher an Dächern fixierten Antennen ergab. Das Spiel mit dem Ready-Made-Effekt war bewusste Setzung, das Museum als ästhetisierendes System wurde so in diesem Raumbild verdeutlicht, entsprechend der konzeptionellen Basis des Gesamtprojekts „Unbeständige Ausstellung“.

Ein im Ausstellungsraum fixierter literarischer Text charakterisierte den Fundort der ausgestellten Objekte und jede Antenne hatte eine eigene sachliche Objektbeschriftung. So wurde die starke ästhetische Ausstrahlung der Antennen nicht durch lange erklärenden Texte gestört und die Gefahr sie zur Illustration des Mangellebens in den Kasernen zu nutzen vermindert. Gleichzeitig wurde der bei Objekten aus fremden Kontexten nahe liegende und durchaus heikle ästhetische Zugang erkennbar gemacht.

Die einzeln präsentierten Antennen als Gegenpol zu dem daneben liegenden Raum zur Apparatekultur warf noch eine andere inhaltliche Konstellation auf – die zwischen seriellem Massenprodukt und dem auch technischen, aber individuell erzeugten und archaisch anmutenden Einzelobjekt.

[1] Katalog zur Ausstellung, Berlin 1995

[2] Walter Benjamin, Passagen-Werk, Ausgabe Ges. Schriften Bd. V.1, 1989, S. 273.

 


Konzeption und Realisation

Renate Flagmeier

ObjektdramaturgieGestaltung: Detlev Saalfeld

Angelika Thiekötter

Gestaltung

Detlev Saalfeld