Buch „Die autogerechte Stadt“ von Hans Bernhard Reichow

Mit der Veröffentlichung „Die autogerechte Stadt“ von 1959 trug der Architekt und Stadtplaner Hans Bernhard Reichow dazu bei, dieses inzwischen sehr umstrittene Konzept der am Automobil orientierten Verkehrsplanung zu popularisieren.

Die Umsetzung des Konzepts in zahlreichen deutschen Städten im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde Reichows Vorstellungen nicht immer gerecht. So schlug er selbst als Alternativbegriff die „Autostadt nach menschlichem Maß“ vor. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die in den 1950er Jahren sehr hohe Zahl der Verkehrstoten auf bundesdeutschen Straßen – in der Einleitung spricht er von jährlich 12.000. Daher war eine der Hauptforderungen dieses Werkes die Trennung von Fußgänger-, Fahrrad- und Autoverkehr.

Verkehrsplanung war für Reichow „Teil einer organischen Lebens- und Umweltgestaltung“ – eine Überzeugung, die sich aus seinem beruflichen Werdegang ableiten lässt. In den 1920er Jahren arbeitete Reichow für Eric Mendelsohn, einen Vertreter der organischen Architektur. Im Nationalsozialismus war er am „Generalplan Ost“ beteiligt sowie beratendes Mitglied in dem von Albert Speer geleiteten „Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte.“ Letzterer sah eine Neugestaltung im Sinne nationalsozialistischer Stadtplanung vor, in welcher Massenmotorisierung eine große Rolle spielte. Für Reichow war auch nach dem Krieg eine „Kehrtwende zur ‚totalen Verkehrsplanung‘ (…) zwingendes Gebot“. In Ampeln und Verkehrsschildern sah er ein die Autofahrer*innen überforderndes Übel: „Die Ampel-Roboter sind gefährliche, den Menschen in seiner Würde demütigende Zeiträuber“.

Der in den 1970er Jahren gebaute Wohnkomplex Leipziger Straße in Berlin-Mitte ist ein Paradebeispiel für Stadtplanung im Sinne der „autogerechten Stadt“, die auch in der DDR lange Zeit dominant war. Hier ist seit Dezember 2023 das Werkbundarchiv – Museum der Dinge zuhause. Die Verkehrswende ist jedoch nicht spurlos an der neuen Nachbarschaft vorbei gegangen. Die Niederwallstraße, die am Museum vorbei auf die Leipziger Straße führt, ist seit kurzem eine Fahrradstraße. Trotz dieser kleinen Veränderungen bleibt das Auto tonangebend in der achtspurigen Magistrale. Die „(Auto)Stadt nach menschlichem Maß“ harrt noch ihrer Umsetzung.