Der "Schleier der Maja" – Karl Ernst Osthaus, das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe und der Werkbundstreit

Frederic J. Schwartz

Der Streit

Die heftige Auseinandersetzung zwischen Hermann Muthesius und Henry van de Velde anläßlich der Werkbund-Ausstellung in Köln 1914 gilt als ein locus classicus in der Theoriegeschichte des modernen Designs. Eine Woche vor der Kölner Versammlung verteilte Muthesius zehn Thesen, die den Kern seiner Grundsatzrede bildeten und mit denen er die Entwicklung von Typen in Architektur und Kunsthandwerk als dringende Notwendigkeit sowohl in ästhetischer und politischer als auch ökonomischer Hinsicht postulierte. Ausgehend davon, daß diese Thesen als offizielle Werkbund-Politik mißverstanden werden könnten, (die Thesen sollten zwar zur Abstimmung gelangen, doch rechnete ihr Autor offensichtlich nicht mit Widerspruch), ging eine von Karl Ernst Osthaus angeführte Gruppe von Künstlern und Architekten in Opposition und bereitete eine Stellungnahme vor. Henry van de Velde wurde ausgewählt gegen dasProgramm der Typisierung zehn Gegenleitsätze aufzustellen und zu präsentieren. Als Muthesius von der Opposition hörte, schwächte erseine Rede in der Hoffnung, die Angegriffenen auf diese Weise besänftigen zu können, etwas ab. Doch vergebens: Die von Muthesius in letzter Minute vorgenommenen Einschränkungen verloren sich im Lärm; These stand gegen Gegenthese. Und an ihnen entzündete sich eine Kontroverse, von der sich die Organisation nie wieder ganz erholen sollte.
„Die Architektur und mit ihr das ganze Werkbundschaffensgebiet drängt nach Typisierung“, behauptete Muthesius in seiner ersten These; nur auf diese Weise könnten Architektur und Design „diejenige allgemeine Bedeutung wieder erlangen, die ihr in Zeiten harmonischer Kultur eigen war.“ Da die Type auch den“Vorbedingungen für einen kunstindustriellen Export“ nütze, sei sie eindeutig nicht nur eine Frage von „sicherem Geschmack“ , sondern ebenso mit dem „Vorhandensein leistungsfähiger und geschmacklichsicherer Großgeschäfte“ verknüpft, wie sie auch mit „dem vom Künstler im Einzelfall entworfenen Gegenstand“ unvereinbar sei. Van de Velde antwortete in heroischen Worten und konzentrierte sich dabei vor allem auf Muthesius‘ Versuch, die Interessen von Kultur und Kapital auf einen Nenner zu bringen, was er als einen Ausverkauf an die Industrie interpretierte: „Solange es noch Künstler im Werkbunde geben wird und solange diese noch einen Einfluß auf dessen Geschicke haben werden, werden sie gegen jeden Vorschlag eines Kanons oder einer Typisierung protestieren.“ „Der Künstler ist“, fuhr er fort, „seiner innersten Essenz nach glühender Individualist, freier spontaner Schöpfer.“ – was aber die Wirtschaft anbelange, so sei die Notwendigkeit zum Export ein „Fluch“.
Der Sachverhalt, über den Muthesius und die Osthaus-Gruppe aneinandergerieten, scheint auf den ersten Blick ganz eindeutig die Frage danach zu sein, ob die Gebote von Technologie und Industrie oder die der Kunst den Akzent für ein Design in einem modernen Zeitalter setzen sollten. Und in der Tat geht die einschlägige Forschung bis heute von einer mehr oder weniger buchstäblichen Auslegung der Zeugnisse dieser Auseinandersetzung aus. Dabei versteht man die Befürwortung der Typisierung als ein Akzeptieren der ökonomischen Gegebenheiten der Massenproduktion beziehungsweise als den Versuch, eine eigenständige industrielle Ästhetik zu entwickeln; während man dagegen in der individualistischen Position eine Ablehnung der ökonomischen Notwendigkeiten zu erkennen können glaubt und ein Beharren auf dem handwerklichen Ansatz. Ja, man geht sogar soweit, die Position der beiden Gruppen als rechts beziehungsweise links zu charakterisieren, anstatt sie auf den verschiedenen Seiten einer Achse zu verorten, die das Vorindustrielle vom Modernen trennen könnte. Dieser letzten Auffassung zufolge sei Muthesius‘ Position als eine Übereinkunft oder als ein Kompromiß mit dem Kapital zu verstehen, während die von van de Velde vertretene Position eine Zurückweisung der Anforderungen bedeute, die der industrielle Kapitalismus an den modernen Künstler stelle.
Doch so einfach war die Angelegenheit nicht. Insbesondere die Existenz des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe macht deutlich, daß gerade Osthaus der Idee verpflichtet war, den Künstler in eine moderne kapitalistische Ökonomie zu integrieren; und seine Protegés – darunter Walter Gropius und Peter Behrens – waren von Aufträgen aus Industrie und Handel nicht weniger abhängig als irgendein anderes Künstlermitglied des Werkbunds. So warnte Osthaus selbst 1915 in einem Brief an den jungen Nationalökonomen und Sozialpolitiker Bruno Rauecker vor einer voreiligen Deutung des Werkbundstreits: „Glauben Sie, der Streit um die Type sei der wahre Inhalt jener Tagung gewesen? Er war nur ein Schleier der Maja, hinter dem sich der wahre Gegensatzverbarg.“
Als einen Schritt auf dem Wege, diesen Schleier zu lüften, möchte ich mit diesem Aufsatz einige Vorschläge machen, wie die Grenzen der Diskussionen, die im Deutschen Werkbund vor dem Ersten Weltkrieg stattgefunden haben, neu gesteckt werden könnten und wie ihre Eckpfeiler neu zu setzen wären. Denn als Zusammenschluß von Künstlern und Architekten, Geschäftsleuten und Ökonomen, Gesetzgebern und anderen Parteien, die an den Zwecken der „Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk“ interessiert waren, konnte die theoretische Fragestellung dieser Gruppe gewiß nicht lauten, ob die Arbeit des Künstlers im Tandem mit der modernen Wirtschaft funktionieren solle, sondern allein wie sie funktionieren könne. Im Mittelpunkt der zahlreichen und fruchtbaren Diskussionen des frühen Werkbunds stand daher immer die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Kunstwerk beziehungsweise der visuellen Formgebung und der kapitalistischen Ware: also die Frage, wie diese an den ökonomischen Energien partizipieren könnten, wie sie teilhaben könnten an der Warenproduktion und -zirkulation und wie sie selbst zu einer Ware werden könnten. Sowohl die Reichweite dieser Frage als auch die unterschiedlichen Interessen derjenigen, die zusammenkamen, um sie zu diskutieren, geben diesen Debatten eine weite, ja verwirrende Bandbreite von unterschiedlichen Ansatzpunkten. Daher scheint es mir sinnvoll, einige dieser frühen Debatten – und es waren einige – zu rekapitulieren. Denn nur so läßt sich begreifen, was hinter der Kölner Konfrontation im Jahre 1914 steckte.

Der Individualist als Autor

So wird „Individualismus“ zum Beispiel in der Design-Geschichtsschreibung gewöhnlich nur als eine ästhetische Position gehandelt, doch verengt diese Auffassung das komplexe Zusammenspiel von Bedeutungen, die der Begriff in den früheren Stadien der Kunstgewerbebewegung hatte. Um diese zu erfassen, ist es notwendig, zwei Dinge im Gedächtnis zu behalten: erstens, daß „Individualismus“ zu Zeiten der Gründung des Werkbundes geradezu zu seiner Orthodoxie gehörte, und zweitens, daß sich in diesem Begriff wichtige Veränderungen mit bezug auf den rechtlichen und ökonomischen Status von geistigem Eigentum widerspiegelten.
Beginnen wir mit einem typischen Kommentar von Muthesius aus den frühen Werkbund-Jahren. 1908 schrieb er: „Jede neue Stilentwicklung ist auf die persönliche Arbeit und die individuelle Schöpfungskraft eines oder einer Reihe von Künstlern zurückzuführen [Hervorhebungen vom Verfasser].“ Oder, in bezug auf die III. Deutsche Kunstgewerbeausstellung 1906 in Dresden, sagte er: „Das, was jedem Betrachter in Dresden zuerst auffallen mußte, war, daß alles, was ausgestellt wurde […] eine eigene künstlerische Sprache redete [Hervorhebungen vom Verfasser].“
Ein Blick auf diese Ausstellung zeigt folgendes: So wie das Erreichen einer „harmonischen Kultur“ das ultimative Ziel der Reformer war, so waren die Vorrangstellung des Künstlers und sein Recht, besser gesagt: seine Pflicht, seine Persönlichkeit zu kultivieren, das zentrale und unumstößliche Prinzip bei der Gründung des Werkbunds.
Zum größten Teil vom Werkbund-Mitglied Fritz Schumacher geplant, wardie Ausstellung in Dresden der Anfang einer Reihe von Kontroversen, diezur Formierung der Gruppe führte. Ihre Kennzeichen waren ein neuartiges Auswahlverfahren und eine neuartige Ausstellungspolitik: Nur solche Objekte und Ensembles wurden akzeptiert, die nach Entwürfen eines namhaften Künstlers angefertigt worden waren; diese trugen aber an erster Stelle den Namen des Designers und darunter den der produzierenden oder ausführenden Firma. Hier zeigte sich eine bedeutende Umkehrung der bisherigen Ausstellungspraxis. Und die vehemente Reaktion auf seiten der Produzenten des traditionellen Kunstgewerbes ist ein klarer Beweis dafür, daß diese neue Formder Präsentation und Beschriftung nicht bloß eine Provokation der eingefahrenen Gepflogenheiten des Handels war. Vielmehr ging es darum, wie die Leistungen der Künstler mit bezug auf die ausgestellten Arbeiten angemessen eingeordnet werden sollten, um den ökonomischen und rechtlichen Status ihrer Arbeit also.
Gleich nach der Ausstellung im Jahre 1906 definierte Muthesius die gegnerischen Lager daher auch nicht mit Blick auf die dazugehörigen Personen oder der ästhetischen Auffassungen, die sie vertraten, sondern über die Unterscheidung der Art von Arbeit, die sie ausführten. DieFirmen bestanden „aus kunstgewerblichen Fabrikanten, Händlern undHandwerkern, also aus den materiellen Produzenten im Gegensatz zu denintellektuellen Produzenten.“ „Die Vorteile beider Parteien“, fuhr erfort, „müssen in gerechter Weise abgewogen und es muß ein gegenseitiges Verhältnis geschaffen werden, das dem Künstler einen gewissen Anteil an dem Erfolge derjenigen Gegenstände gewährleistet, deren geistiger Schöpfer er ist. Ähnliche Verhältnisse haben wir seit langer Zeit auf einem anderen Gebiete, auf dem es sich ebenfalls darum handelt, geistige Produkte industriell zu vertreiben, nämlich im Buchhandel. Auch hier wird dem Verfasser ein gewisser Anteil an dem Erfolge desBuches zugestanden. Die vertragliche Fixierung ist die verschiedenste, auf alle Fälle läuft der Vertrag aber darauf hinaus, dem Autor eine entsprechende Entschädigung zuzusichern. Daß dabei der Name des geistigen Urhebers des Werkes in erster Reihe genannt wird und nicht etwa unterdrückt werde, liegt heute […] auf der Hand. Der Buchhändlervertrag würde als eine Parallele für diejenigen von Kunstgewerblern geschaffenen Erzeugnisse sein, bei denen es sich mehrum die Massenherstellung handelt.“
Indem Muthesius die Arbeit des Kunstgewerblers mit der eines literarischen Verfassers verglich, suchte er den Designer als einen Autor oder Urheber zu bestimmen, mithin als einen Künstler im spezifisch rechtlichen Sinn. Und dies vor allem deshalb, weil die verlegerischen Verträge, auf die Muthesius sich bezog und nach denen die Vergütung intellektueller Arbeit geregelt wurde, den Bestimmungen eines besonderen Gesetzes, dem Urheberrechtgesetz, entsprechen mußten. Indem Muthesius das explosive Thema der Namensnennung des Designers aufnahm, berührte er aber eine zentrale Bestimmung dieses Rechts:das Recht des Autors darauf, daß sein Name in Zusammenhang mit seiner Arbeit genannt werde, auch in dem Falle, daß seine Arbeit von einer anderen Partei ausgeführt und verkauft würde. Das war die eigentliche polemische Geste der Dresdener Ausstellung und der Ursprung der Kontroverse, die zur Gründung des Werkbunds führten: Das zentrale Symbol des Urheberrechts – das Recht, die eigene Arbeit signieren zukönnen – wurde den Regeln der Ausstellung eingeschrieben. Und obwohl die Kunstgewerbler und Architekten zur Zeit der Ausstellung noch nicht in den Genuß des Urheberrechts kamen, schufen ihre Organisatoren auf diese Weise eine Welt im Kleinen, in der der Designer rechtlich und ökonomisch als Künstler auftrat.
Gemäß der geltenden Gesetzgebung von 1906 war das Urheberrecht denen garantiert, die „eine individuelle formgebende Tätigkeit“ im Bereich der „Bildenden Künste“ ausübten: literarisches (und akademisches) Schreiben, Musik, Malerei, Zeichnen, Kupfer- und Stahlstichen sowie, ineinigen Fällen, Bildhauerei. So definierte das Gesetz den Künstler, dem es ein zwar einfaches, aber ökonomisch wichtiges Vorrechtgab: das Exklusivrecht auf Lebenszeit, seine eigene Arbeit zu reproduzieren oder reproduzieren zu lassen, zu vertreiben und zu signieren (dieses Vorrecht ging nach dem Tod des Künstlers für eine Dauer von 30 Jahren auf die Erben über). Der Künstler behielt diese Rechte auch nach dem Verkauf der Arbeit und, obwohl sie übertragen oder verkauft werden konnten, wurden sie durch den Verkauf der Güter nicht automatisch aufgehoben. Das geltende Urheberrecht schuf eine besondere Art der Ware – die geistige oder kulturelle Ware. Und es schuf für sie eine eigene, geschützte Wirtschaft innerhalb der größeren, allgemeinen Wirtschaft.
Das Gesetz achtete kunstgewerbliche Gegenstände zwar als geistiges Eigentum, anerkannte aber ihre Gestalter nicht als Autoren. Der Musterschutz, dem diese Güter unterlagen, betrachtete den Vorgang des Entwerfens als zur Ware gewordene, entfremdete Arbeit. Sowohl die Arbeit als auch ihre Früchte gehörten dem Käufer. Entwürfe, die im Auftrag oder in einem Angestelltenverhältnis für eine produzierende Firma angefertigt wurden, waren das Eigentum der Firma, die als Urheber angesehen wurde. Der Künstler, der das Design lieferte, war nicht mehr als eine auf Zeit gekaufte Arbeitskraft.
Zur Zeit der Ausstellung in Dresden war eine Neuauflage des Urheberrechts im Entstehen begriffen, eine die, so die Hoffnung von Vielen, dem Kunstgewerbler das gleiche Recht zusichern würde, das bis dahin denjenigen vorbehalten war, die mit erhabeneren Mitteln arbeiteten. Mit diesem Start noch vor dem Startschuß versuchten die Ausstellungsorganisatoren wahrscheinlich eine de facto-Situation zu schaffen, durch die die Mitglieder des gesetzgebenden Ausschusses unter Druck gesetzt werden sollten, den Sachverhalt auch de jure in dem neuen Gesetzentwurf zu berücksichtigen. Die Kunstgewerbebewegung war sich durchaus bewußt, daß sich ihr Schicksal mit dem Entwurf dieses Gesetzes entscheiden würde. Die große Anzahl von Artikeln zu diesem Thema, die in ihren Zeitschriften zwischen 1900 und 1907 erschien, gibt davon ein beredtes Zeugnis.
Am 9. Januar 1907 unterschrieb Wilhelm II. das Gesetz für ein neues, umfassenderes Urheberrecht bezüglich der visuellen Künste. Es trat am 1. Juli des Jahres in Kraft. Dieses Kunstschutzgesetz garantierte nun auch Architekten und Designern von Kunstgewerbe-Gegenständen (einschließlich Reklame) sowie, in begrenztem Umfang, auch Photographen das gleiche Urheberrecht, das die Praktiker der traditionellen künstlerischen Medien genossen.

„§ 1. Die Urheber von Werken der bildenden Künste und der Photographie werden nach Maßgabe dieses Gesetzes geschützt.
§ 2. Die Erzeugnisse des Kunstgewerbes gehören zu den Werken der bildenden Künste. Das Gleiche gilt von Bauwerken, soweit sie künstlerische Zwecke verfolgen.
Als Werke der bildenden Künste gelten auch Entwürfe für Erzeugnisse des Kunstgewerbes sowie für Bauwerke der im Abs. 1 bezeichneten Art.“

Dies war nichts weniger als die gesetzliche Bestätigung der Ziele der Kunstgewerbebewegung. „Was lange erstrebt wurde, ist nun erreicht“ lautete der einschlägige Kommentar in den Nachrichten des Kunstgewerbeblatts. Und es schien so, als sei damit der Konflikt zwischen den Unterstützern der Kunstgewerbler und der traditionellen Handwerkerschaft endgültig zugunsten der ersteren entschieden.
Doch bald stellte sich heraus, daß das Gesetz längst nicht so eindeutig war, wie die Lektüre seiner ersten beiden Paragraphen glauben machen konnte. Denn mit der Ausweitung des Urheberrechts auf ein breiteres Gebiet der Produktion anerkannte das Gesetz zwar die entsprechenden künstlerischen Mittel, schützte jedoch nur im Einzelfall die Ergebnisse ihrer Anwendung. Dies wird zum Beispiel an der qualitativen Unterscheidung deutlich, die das Gesetz hinsichtlich des Schutzes von Architektur machte – geschützt wurde eine Stadthalle, nicht aber ein Lagerschuppen, und eine Fabrik nur dann, wenn sie ein Streben nach „künstlerischen Zwecken“ erkennen ließ. In der früheren Fassung des Gesetzes war dagegen der Sachverhalt relativ klar gewesen: Eindeutig in Abgrenzung zu Fällen ausgelaufener Urheberansprüche, unterlag eine neu hergestellte Arbeit der Schönen Künste entweder dem Urheberschutz, oder sie war ein Plagiat. Hingegen war eine Arbeit der Angewandten Kunst allerdings nicht so eindeutig als schützenswert zu bestimmen. Denn obwohl Produkte dieser Herstellungskategorie theoretisch dem Urheberrecht unterlagen, warf schon das Vorhandensein von Konventionen oder Traditionen große Probleme bei der Zu- und Einordnung auf. So war ein beispielsweise Chippendale-Stuhl, vielleicht nicht gerade die Kopie eines existierenden Stuhls, aber doch mehr oder weniger in diesem Stil hergestellt, weder ein Plagiat noch ein originäres Kunstwerk. Das aber bedeutete, daß die künstlerische Gattung nicht mehr als verläßliches Kriterium zur Bestimmung von Kunstwerken herangezogen werden konnte und so blieb, wiewohl durch das Gesetz von 1907 der Begriff von „Kunst“ erweitert worden war, weiterhin nicht definiert, was unter ‚Kunst‘ zu verstehen sei. Dies mußte im Einzelfall von den Gerichten entschieden werden. Diese benötigten dazu aber wiederum Kriterien, nach denen die Unterscheidung zu treffen war, Kriterien, die im Bereich der Angewandten Künste von größter Bedeutung werden sollten.
Die Exegeten hatten allerdings nicht viel Mühe, diese Gesetzeslücke zufüllen, zumindest im Prinzip nicht. Denn man definierte ein Kunstwerk im Falle nicht eindeutiger künstlerischen Mittel – tautologisch -einfach durch die Präsenz eines Künstlers: „Wie bei den Werken der hohen Kunst, [ist hier] eine individuelle formgebende Tätigkeit, eine, künstlerische Leistung‘ stets die unerläßliche Voraussetzung für denAnspruch auf den Schutz des vorliegenden Gesetzes.“ Der Status von Kunst wurde demnach als ein Ergebnis individueller Kreativität gesehen: „Das im Urheberrecht maßgebende Merkmal des Geisteswerks ist die Individualität des Schöpfers.“ Im Zusammenhang Angewandter Kunst wurde daher „Individualität“ zur rechtlichen Formel für die Definition des Künstler. Konsequenterweise definierte sich daher ab 1907 der Angewandte Künstler als Individualist. Und indem er dies tat,erhielt er Urheberschutz, ein Recht, das nicht nur sein künstlerisches Kapital schützte, sondern ihm darüber hinaus dessen Verwertung zum eigenen Vorteil erlaubte.
Auch wenn man den Werkbund als eine Interessengruppe von Künstlernversteht, sollte man seine Zielvorstellung von der „Wiedereroberung einer harmonischen Kultur“ durchaus ernstnehmen. So zeigt ein Blick auf das Phänomen des Jugendstils, daß bei dieser anscheinend unbedeutenden Auslegung des Gesetzes viel auf dem Spielstand. Der Jugendstil war ein Versuch mehrerer, später dem Werkbund beigetretener Künstler, der raschen und wiederholten Verwertung vergangener Stile, wie es sich gerade im Historismus zeigte, zu entfliehen. Doch anstatt dem Wunsch der „Parvenus“ nachzugeben,überkommene Stile von sozialem Status nachzuäffen, wollten dieseKünstler mit ihren visuellen Formen eine durch und durch ästhetisierte Welt schaffen, durch die die Individualität sowohl ihrer Schöpfer als auch die ihrer Konsumenten zum Ausdruck gebracht werden könne. Das war zumindest, auf einen Nenner gebracht, ihr Konzept. Doch die Erfahrung der Künstler bot eine bittere Lektion auf dem Weg, wie Formgebung ineiner modernen Konsumwirtschaft funktionieren sollte.
Betrachten wir zum Beispiel die geschwungene Linie des Jugendstils in einem Leuchter von van de Velde von 1899, seine sanfte, rhythmische Asymmetrie, die aus festen Wurzeln hinaufschießenden sechs Äste, die sich dann in einer Krone vereinigen. 1903 war die geschwungene Linie über Versandhäuser zu beziehen und gerierte sich dabei etwas wilder. Zu diesem Zeitpunkt war die Avantgarde aber schon auf ihrem Weg zu einer kontrollierteren Geometrie. Ebenso war 1898 ein von Hand gefertigter Jugendstil-Schreibtisch von van de Velde noch modern und exklusiv genug, um Käufer zu finden; fünf Jahre später jedoch wurde das schwingende Zeichen der Moderne schon als Stütze einer Anfänger- „Klassiker Bibliothek“ verkauft. Dies war der allgemeine Trend; in vielen Fällen jedoch wurden Entwürfe und Designs direkt kopiert. Oder, um mit dem Kritiker Karl Scheffler zu sprechen, „Obrist wird vergessen, van de Velde bestohlen und Behrens ausgenützt […] während die Industrie ihren Freibeuterzug vollführt.“
Aus der Sicht der Kunstgewerbebewegung wurden die Künstler aufgrund des mangelnden Urheberschutzes nicht nur um die Früchte ihrer kreativen Arbeit betrogen, vielmehr ergab sich daraus eine Situation, in der sich Firmen nach Belieben neue Entwürfe aneignen konnten und sogar Entwürfe originärer Künstler dem unstillbaren Appetit der Industrie nach neuen Moden unterwerfen konnten. Ohne angemessene gesetzliche Regelung mitbezug auf die Schöpfungen der Angewandten Künste, so begriffen sie,würde die visuelle Form in einer Marktwirtschaft völlig instabil sein; eine Kultur, deren Formen vom konsumorientierten Kapitalismus bestimmt sein würden, würde von der Degradierung der visuellen Zeichen charakterisiert und vom Profitstreben der Kapitalisten wie dem Wunsch des Konsumenten nach dem „letzten Schrei“ als einer Möglichkeit, Prestige zu behaupten in den gleichen Teufelskreis hineingezogen werden, in dem die Stile der Aristokratie untergegangen waren. In Muthesius‘ Worten, „der Formalismus dieser geschwungenen Linie […]wurde auf die Walze der industriellen Fabrikation gespannt […], um auf dem Modenmarkte eine Rolle zu übernehmen. […] Der Jugendstil ist gegen die letzten Stile, die die Fabrikation in den Klauen hatte […]keine Verbesserung.“ Das Problem des Jugendstils war eines der „Mode“, und damit ein Problem des Niedergangs der Kultur unter dem laissez faire-Kapitalismus.
Es konnte daher nicht überraschen, daß eine einfache Neufassung des Urheberrechts das Problem nicht lösen konnte. 1911 war Vielen klar, daß „das neue Urheberrecht sich bis jetzt als ziemlich illusorisch erwiesen [hat].“ Das Problem bestand darin, daß paradoxerweise die Tendenz der Mode nach Veränderung, nach Variation und Diebstahl dem Urheberrecht selbst eingeschrieben war, und zwar gerade dadurch, daß es den Künstler als einen Individualisten definierte. Und obwohl die neue Gesetzgebung theoretisch den Schutz intellektueller Arbeit wesentlich erhöhte, beinhaltete sie eine Klausel zum sogenannten „freien Gebrauch“, die die Autorenschaft allein über einen Unterschied definierte: § 16. „Die freie Benutzung eines Werkes ist zulässig, wenn dadurch eine eigentümliche Schöpfung hervorgebracht wird.“ Alles, was ein Unternehmen tun mußte, um die Zahlung von Lizenzgebühren zu vermeiden, war daher nicht mehr, als einen Kopisten zu engagieren, der schlau genug war, ein gegebenes Modell so zu verändern, daß es als ein neu geschaffenes Kunstwerk, also Produkt eines anderen Individuums gelten konnte. Diese Bestimmung des Gesetzes wurde von den Gerichten offensichtlich liberal ausgelegt. Und so wirkte sich das Gesetz in zweierlei Hinsicht aus: Der Anspruch, ein „freier spontaner Schöpfer „zu sein, machte nicht nur den angewandt arbeitenden Künstler zu einem Autor, sondern auch den Plagiator zu einem solchen, vorausgesetzt,dieser verstand es seine Spuren zu verwischen. Die Werkbund-Mitglieder mußten daher andere Wege finden, die Interessen der Künstler zu schützen und das Chaos der Warenkultur unter Kontrolle zu bringen.

Typisierung und die Suche nach einer Industriekultur

Da das Problem also nicht beim Urheberrecht lag und nicht mit rechtlichen Mitteln gelöst werden konnte, waren neue Reformstrategien von nöten, um die kulturellen und beruflichen Ziele der Organisation zu erreichen. Dies vor Augen entwickelte eine einflußreiche Gruppe des Werkbunds den Begriff der Typisierung, der eine eindeutige Richtungsänderung eines wichtigen Kerns der Kunstgewerbebewegung signalisierte und der Muthesius, aufgrund seiner Bemühungen für die Rechte der Künstler einst als Retter gefeiert, ins Zentrum neuer Kontroversen rückte.
Die „Type“ war ein bekanntermaßen unscharfer Begriff; seine Bedeutung läßt sich am ehesten als eine Konstellation von Überlegungen rekonstruieren, die sich nicht nur mit den Problemen der Form im modernen Kapitalismus beschäftigten, sondern auch mit der Frage, wie sie über eine Anpassung an die Produktionsverhältnisse gelöst werden könnten – Überlegungen, die vor allem bei den Anhängern von Friedrich Naumann und denjenigen kursierten, die, wie Muthesius und Karl Schmidt, der Werkstättenbewegung nahe standen.
Diese Gruppe lokalisierte die Probleme der kapitalistischen Kultur inspezifischer Weise: Man lastete sie nicht dem kapitalistischen System als Ganzem an, sondern nur einem bestimmten Teil der Wirtschaft. Die Kritik richtete sich nicht auf die Produktion, sondern nahm vor allem den Vertrieb und den Warenverkehr: den Handel ins Visier. So schrieb Naumann im Werkbund-Jahrbuch, es seien die handeltreibenden Kapitalisten – Zwischen- und Einzelhändler, also diejenigen, die von der Produktion am weitesten entfernt seien -, die die verzerrte Physiognomie des modernen Handels hervorbrächten: „Preisangaben im Schaufenster, die Anlockung, der Wechsel der Mode und die Stillosigkeit aller Dinge.“
Die Kritik am Handel war ein Schritt von großer theoretischer und taktischer Bedeutung. Denn über sie konnte nicht nur die kulturelle Krise innerhalb der Parameter des kapitalistischen Systems artikuliert werden, sondern war es zugleich möglich, den Bereich der Wirtschaft anzusprechen, den die Gruppe als Verbündeten sah- den Produktionsbereich. So verunglimpften Werkbund-Mitglieder – darin dem Ökonomen Werner Sombart folgend – systematisch den vermeintlichen „Händlergeist“ zugunsten des heroischen, in der Produktion beheimateten „Unternehmergeistes“.
Das Problem bestand nun darin, wie die potentielle Kakophonie der Warenzirkulation in einer modernen kapitalistischen Wirtschaft zum Schweigen gebracht und zugleich durch eine vereinheitlichte und vereinheitlichende Symphonie der Produktion übertönt werden könnte. Viele Werkbund-Mitglieder glaubten die Lösung in einem Prozeß erkennenzu können, der das bisherige chaotische Treiben des Hochkapitalismus aufzulösen schien: in der zunehmenden Konzentration des Kapitals, dem Zusammenschluß von kleineren konkurrierenden Firmen zu Kartellen, Ringen, Syndikaten und Monopolen. Theoretiker der angewandten Kunst wie Muthesius, Naumann und Scheffler, nahmen wahr, worauf auch alle der vielen Untersuchungen des Phänomens hinwiesen: Daß sich der Konzentrationsprozeß vor allem im Produktionsbereich vollzog; daß er starke Hersteller gegen schwächere Groß- und Einzelhändler vereinte; daß er den Produzenten erlauben würde, Preis und Form der Waren zu diktieren; und daß er, wenn die Einzelhändler zu Agenten der Produzenten würden, dazu führen werde, die auf dem Konkurrenzprinzip aufbauende, sich im ungebremsten Wettbewerb wie einer generellen Regellosigkeit zeigende Wirtschaft zu zügeln. Mit der Überwindung des durch das laissez-faire verursachten, ökonomischen Chaos könnte, so glaubte man, auch das visuelle Chaos der Moden und die Herabsetzung der visuellen Form unter Kontrolle gebracht werden.
1911, in seiner Rede mit dem Titel „Wo stehen wir?“, in der er den Begriff der Type zum ersten Mal im Rahmen einer Veranstaltung des Werkbundes verwendete, sprach Muthesius diese Tendenz zur Kapitalkonzentration direkt an: „In der modernen sozialen und wirtschaftlichen Organisation ist eine scharfe Tendenz der Unterordnung unter leitende Gesichtspunkte, der straffen Einordnung jedes Einzelelementes, der Zurückstellung des Nebensächlichen gegen das Hauptsächliche vorhanden. Diese soziale und wirtschaftliche Organisationstendenz hat aber eine geistige Verwandtschaft mit der formalen Organisationstendenz unserer künstlerischen Bewegung.“
Doch was hatte das alles mit der Type zu tun? Vielleicht können wir dies daran erkennen, wie dieser Teil des Werkbunds die einzigartige Zusammenarbeit zwischen einem Künstler und einem riesigen kapitalistischen Konzern, zwischen Peter Behrens und der AEG, bewertete. Die elektrischen Tee- und Wasserkessel, die Behrens1908 für die Firma entwarf, lassen den scharfen Kontrast erkennen, inder sie zu einer ähnlichen Auswahl von Gütern (hier Uhren), die ein Versandhändler anbot, standen. Der Katalog zeigte eine verwirrende Vielfalt verschiedener Modelle und Stile unterschiedlicher Hersteller. Das war die semiotische Überladenheit und sogenannte Stillosigkeit des liberal-kapitalistischen Handels, der eine theoretisch nicht begrenzte Anzahl verschiedener Modelle unterschiedlicher Hersteller auf den Markt, der von Zwischen- und Einzelhändlern kontrolliert wurde, warf. Der AEG-Katalog zeigt dagegen, daß die Varianten auf drei verschiedene Grundmodelle beschränkt wurden, die in jeweils drei unterschiedlichen Größen und Ausführungen verkauft wurden. Doch wurde nicht nur die Anzahl der Modelle reduziert, vielmehr wurde auch der ornamentale Exzeß, der für den Stukenbrok-Katalog charakteristisch ist, eliminiert – Ornamente, die von ‚echten‘ Skulpturen bis zur naturalistischen Malerei und von historischen Stilen bis zum Jugendstil reichten, Ornamente, die die Hinterlassenschaften von Jahrzehnten der Moden in einer Art und Weise zeigten, die nur als Kitsch bezeichnet werden kann.

Diese Veränderung der visuellen Erscheinung wurde in direkte Beziehung zu den ökonomischen Veränderungen gesetzt, und mit dem Begriff Type wurde eben diese Konvergenz bezeichnet. Wenn Muthesius 1908 über den frühen „Versuch“ der Werkstätten schrieb, „sich nicht mit Hilfe des Modewechsels, sondern mit ständig verbesserten, künstlerisch vollwertigen [Leistungen] durchzusetzen“, so schien das Monopol, das Behrens als „künstlerischen Beirat“ beschäftigte, eben dies erreicht zu haben: Die AEG habe, so kommentierte ein Zeitgenosse, „zuerst […] ihre kapitalistischen Machtmittel, die an sich bereits eine Vereinfachung bedeuten, dazu angewendet, ihr Angebot und damit ihre Produktionsmittel zu vereinfachen, d.h. feststehende Typen zuschaffen.“ Mit der Macht des Geldes im Rücken, brauchte die Firma nicht länger mit der alten, anbiedernden Art den Konsumenten zu umwerben; vielmehr konnte sie dem Markt ihre Lösung aufdrängen, und durch ihre Produkte mit der lauten, klaren Stimme eines Unternehmens sprechen, das den Markt kontrolliert.
Viele von Behrens‘ AEG-Typen waren natürlich Markenartikel, und die beträchtliche diskursive Überschneidung dieser Warenform mit der Type ist besonders bemerkenswert. Hier ist zu bedenken, was Naumann bereits 1906 schrieb: „Überall drängt sich als neue Normalform der angewendeten Kunst dieses System auf: daß ein Unternehmer bestimmte charakteristische Typen oder Marken herstellt, für diese Typen dann Reklame macht und auf diese Weise ein Zentralisierung des Geschmacks und des Absatzes […] herbeizuführen sucht.“ Denn das Warenzeichen und das Objekt, das es bewarb, waren auf das engste mit der Tendenz zur Konzentration des Kapitals verbunden.
Auf ihrem Weg, den Markt zu organisieren und zu kontrollieren versuchte die Konsumgüterindustrie zuerst, die traditionellen Formen des Handels zubrechen. Über die Einführung von Marken, die den Hersteller benanntenund die mit Hilfe massiver Werbung den Konsumenten bekannt gemacht wurden, gelang es den Produzenten der Konsumgüter, den traditionellen Händlern die Kontrolle über den Markt zu entreißen: Denn aufgrund der Werbung suchten die Konsumenten in den Läden nun nach bestimmten Marken und verhalfen den Produzenten auf diese Weise zu einer Machtstellung: Sie konnten jetzt die Preise bestimmen, sich direkt an den Einzelhandel wenden oder ihre eigenen Geschäfte eröffnen, in jedem Fall aber den Zwischenhandel und seine Provision umgehen.
Die ökonomische Reorganisation des Marktes, die durch die Markenartikel ins Rollen gebracht wurde, schien einer kulturellen Erneuerung zu korrespondieren. Um die Assoziation der Ware mit der Marke nicht zu gefährden mußten die Hersteller die bekannte Erscheinung ihrer Waren bewahren, weshalb die Form der Markenartikel nicht so häufig verändert wurde und damit auf ihre Weise dem Druck der Mode einen gewissen Widerstand leistete. Außerdem kamen Markenartikel als „sachlich“ daher; in Zusammenhang mit ihrer Entwicklung entstanden das sogenannte Berliner Sachplakat und kleiner gedruckte Äquivalente. Diese Anzeigen ließen eine extreme Reduktion der Mittel erkennen: Sie waren auf die Ware selbst, die schematische Type , und auf das Warenzeichen oder den Namen des Herstellers reduziert. 1913 führte die Werbezeitschrift Seidels Reklame den Kontrast zwischen den verbalen Explosionen (in sechs verschiedenen Schrifttypen) des freien Spiel der ökonomischen Kräfte und einer Behrens-Anzeige im Sachplakat-Stil vor Augen, indem sie Aufrufe wie „Verlangen Sie kostenlos 2000 Referenzen! 100 Anerkennungen!“ direkt neben die zurückhaltende Darstellung eines Markenartikels des Handelsgiganten setzte, der nur seinen Namen zu nennen brauchte. „Wir stellen der Unruhe der Santo-Anzeige die vornehme Ruhe der Behrens’schen A.E.G.-Anzeige gegenüber, die nichts als die Sache, den Namen und die Firma ausweist und im übrigen den Ruf des Hauses für sich sprechen läßt.“ Die Botschaft war, daß die Sphäre des Warenaustauschs jetzt die Hast und Nervosität des neunzehnten Jahrhunderts aufgeben konnte; die Pathologie des laissez-faire mußte einem heilsamen Wiedererstehen einer klassischen Ordnung den Weg zum Markt freigeben.
In diesem Zusammenhang wird der begeisterte Kommentar von Scheffler verständlich, in dem er 1908 eine Illustration mit einem Behrens’schen AEG-Signets beschrieb: „Wir haben ein neues Zeichen, daß sich der bürgerliche Unternehmungsgeist, der bisher nur auf eine Mehrung der materiellen Werte bedacht war, zu idealisieren beginnt, daß er – endlich! – das Bedürfnis zu fühlen anfängt, das Notwendige, dem seine monumentale Arbeitslust sich hingibt, sittlich zu machen, indem er an die Verpflichtung dem Schönen gegenüber denkt.“ So kündigte die Type im Zeichen der Marke eine visuell disziplinierte Ordnung des Konsumgütermarktes an, in der man eine Chance sah, daß das Produktionskapital die Akkorde einer harmonischen Kultur anschlagen könne.

Der „Kulturkomplex“ Osthaus und die Kunst im Handel

Karl Ernst Osthaus und die Künstler, denen Hagen und das Deutsche Museum eine wichtige Basis bot, blieben aber nach wie vor der Idee vom Künstler als einem Individuum (die, wie wir gesehen haben, für die Entstehung des Werkbunds entscheidend war) verpflichtet. Sämtliche Aktivitäten des, wie ihn ein Kommentator nannte, „Kulturkomplex Osthaus“ waren daher weniger um die Erreichung abstrakter Ziele sowie einer „harmonischen Kultur“ bemüht, sondern zielten vor allem darauf ab, die vergleichsweise profane, doch sehr schwierige Aufgabe zu lösen, bestimmten hervorragender Künstlern eine finanzielle Basis für ihre Arbeit und damit ein Auskommen zu sichern. Diese Bemühung sollte man aber nicht unterschätzen: Denn wer immer mit Künstlern zu tun hat, weiß welch‘ große Bedeutung dieses sehr irdische Problem für sie hat, ganz abgesehen davon, daß sich daran viel über das Verhältnis zwischen der Kunst und den materiellen Bedingungen der Moderne ablesen läßt.
Aus dieser, aus Osthaus‘ Sicht kann aber deutlich werden, warum das Projekt der Typisierung als im höchsten Maße kontraproduktiv erscheinen mußte. Denn mit dem Vorhaben, die formale Vielfältigkeit der modernen Produktion zugunsten einer Einheitlichkeit zu reduzieren, hätte die Entwicklung von Typen tendenziell dazu beigetragen, die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten der Künstler zu begrenzen, ihre kreative Kompetenz in Frage zu stellen, und sie damit letztendlich um ihre materielle Existenzgrundlage gebracht. In jedem Fall aber wären die Künstler der Möglichkeit beraubt gewesen, ihre individuellen Visionen zur Geltung zu bringen; und von daher ist nur zu verständlich, daß sie sich fragen mußten, welche Rolle ihnen überhaupt zugedacht bliebe.
Allerdings gab es noch einen anderen, möglicherweise wichtigeren Anlaß für die Spannung, die den latenten Konflikt zwischen den Interessen der Künstler und der aktivistischen Form von Kulturkritik, die Muthesius repräsentierte, speiste. Denn in den Augen der Gruppe des Werkbunds, die jetzt die theoretische Ausrichtung der Organisation zu bestimmen versuchte, war der Handel ein ökonomischer und kultureller Parasit. Osthaus und seinen Verbündeten wurde dagegen immer klarer, daß der Bereich der Warenzirkulation die einzige Sphäre sein könnte, die den Künstlern ein annehmbares Auskommen innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft zu bieten versprach. Hier lohnt ein Blick auf die Aktivitäten des Deutschen Museums. Es sollte „alle das kaufmännische Leben umfassenden Gegenstände umfassen, Drucksachen, Reklameartikel und Verpackungen, dann eine Sammlung kunstgewerblich verwertbarer Materialien und schließlich ein Musterlager von künstlerisch wertvollen Erzeugnissen.“
Die Reihenfolge ist hier bezeichnend, denn in der Einordnung des Paraphernalia des Handelslebens offenbarten sich eindeutig Osthaus‘ Prioritäten. Und in der Tat konzentrierte das Museum seine Sammlungstätigkeit nicht nur vor allem auf die drei zuerst genannten Bereiche – auf Plakate, Kataloge, Verpackungen – sondern präsentierte auch in der Mehrzahl seiner Wanderausstellungen die visuelle Ausstattung des modernen Handels: „Reklamedrucksachen“, „Die Kunst im Dienste des Kaufmanns“, „Zigarrenpackungen“, „Moderne Plakate“, „Reklamekunst“. Das Deutsche Museum war in Wirklichkeit ein Reklamemuseum. Aber eines mit einem besonderen und charakteristischen Akzent, der an die Einheit der Kunstgewerbebewegung um 1906 erinnert: „Fast alle Arbeiten“, die dort versammelt waren, schrieb August Kuth, Osthaus‘ erster Assistent, waren „mit dem Künstlernamen gezeichnet.“ Jetzt aber belieferten die Künstler die Warenzirkulation nicht weniger als die Produktion: Das Museum richtete eine Vermittlungsstelle ein, um kleinere Unternehmen in Sachen Reklame zu beraten und geeignete Künstler zu empfehlen, und entwickelte Pläne für die Einrichtung einer „Reklame-Akademie“. Sogar Gropius‘ berühmte Texte über Fabrikarchitektur, die im Zusammenhang mit einer vom Museum organisierten Wanderausstellung entstanden, betonen den kommerziellen Charakter dieser Aufträge. Sehr aufschlußreich ist hier auch, daß Osthaus und Muthesius schon früher über die Darstellung des Handels im Rahmen des Werkbundes aneinander gerieten.
In diesem Zusammenhang ist aber besonders bemerkenswert, daß die Arbeit von Peter Behrens sowohl für das Hagener Verständnis der Rolle des Künstlers und der visuellen Formen in der Moderne in Anspruch genommen wurde, als auch von der Gruppe, die die Type propagierte. Dabei hatten die Mitglieder der Osthaus-Gruppe eine ganz eigene, wahrscheinlich eher zutreffende Interpretation dieses Beispiels. Denn sie hatten entdeckt, daß Behrens den größeren Teil seiner Zeit mit der Gestaltung von Broschüren, Ausstellungspavillons und Ladentresen verbrachte und zogen daraus den Schluß, daß Behrens‘ Arbeit (der in Köln nicht zu erkennen gab, auf welcher Seite er stand) nicht unbedingt und eindeutig im Sinne einer Entwicklung von Typen zu deuten war.
So beschrieb Osthaus 1907 die neue Zusammenarbeit zwischen Kunst und Industrie folgendermaßen: „Seit kurzem weilt Peter Behrens als künstlerischer Beirat der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft in Berlin. […] Man darf annehmen, daß mäzenatische Gelüste [die Berufung] nicht verursacht haben, daß vielmehr die wirtschaftliche Notwendigkeit einer Verbindung der Industrie mit der Kunst sich […] fühlbar gemacht hat. Und darin liegt ein Triumph, so überraschend groß, daß er die kühnsten Hoffnungen unserer letzten Jahre überholt. Die Kunst hat wieder Bürgerrecht in Deutschland!“ Mit „Bürgerrecht“ wählte Osthaus hier ein eigenartiges Wort, um die neue Rolle der Kunst zu beschreiben; seine Bedeutung ist nicht ganz klar, doch es wurde wahrscheinlich mit Umsicht gewählt. Denn Bürgerrecht meinte nicht nur das Recht zur freien Teilnahme am öffentlichen politischen Diskurs; sondern bedeutete, nicht weniger wichtig, auch das Recht, Waren zu besitzen, zu kaufen und zu verkaufen. Noch um 1900 herum hätte dies kaum ein Echo hervorgerufen; denn das Zunftwesen war längst noch nicht vergessen und die kapitalistische Organisation der Wirtschaft noch kein Jahrhundert alt. Und so sprach Osthaus im Unterschied zu Scheffler, der das Abkommen zwischen Behrens und der AEG als Zugang der Kunst zur Macht der Produktion und von den Wechselfällen des Handels befreit interpretierte, davon, daß die Kunst Zugang zum Markt, dem öffentlichen Forum, erhalten habe. Der Markt wurde damit nicht länger als ein dekadentes Reich angesehen, sondern als benachbarte Sphäre, in der Kultur stattfinden konnte.
In diesem Sinne kam auch Fritz Meyer-Schönbrunn in einem Band der aufschlußreich Monographien Deutscher Reklame-Künstler betitelten Buchreihe des Deutschen Museums, in der er sich damit beschäftigt, wie Behrens die ‚Organe‘ moderner Reklame, Ausstellungspavillons, Schaufenster, Läden wie auch Plakate und Drucksachen ‚reformiert‘ habe, zum Schluß: „Diese Universalität der künstlerischen Begabung machte es Behrens möglich, in die unübersehbare Vielgestaltigkeit und Zerfahrenheit der Produktion einen in sich gerundeten Komplex organischer und logischer Schönheit zu setzen.“ So wurde auch hier die treibende Kraft für die kulturelle Einheit weniger im Bereich Produktion erkannt, sondern sah man eher in den Zeichen des Handels dasjenige Element, durch das der Kultur Orientierung und Einheitlichkeit verliehen werden könne.
In seinem Artikel über „Das Schaufenster“, der im zweiten Werkbund-Jahrbuch erschien, entwickelte Osthaus eine zwar weitschweifende, aber dennoch zwingende Analyse dazu, wie Waren auf dem Markt in Erscheinung treten; und bot dabei zugleich, so möchte ich behaupten, eine weitere Deutung der Behrens’schen Arbeit für die AEG. Dieser Artikel – wie Osthaus‘ Beschäftigung mit der Gestaltung von Schaufenstern überhaupt – erscheint mir wesentlich für ein Verständnis von Osthaus‘ faszinierenden (allerdings nicht systematisch entwickelten) Ideen; denen ich nur anhand einer einzigen Beschreibung, offensichtlich eines Schaufensters von August Endell nachgehen kann. Er schrieb: „Warenzeichen gleißen, zu magischen Zeichen gewandelt, mit heißen Zügen daraus hervor. Das Ganze atmet jene Stimmung, die das Kind vor dem Vorhange empfindet, der ihm zum ersten Male die Welt der Träume erschließen soll.“ Osthaus‘ Artikel drehte sich zwar nicht allein um die Marke, doch verknüpfte er sie darin, und dies möchte ich hier betonen, mit dem Ausdruck „magisches Zeichen“. Osthaus bezog sich dabei wahrscheinlich auf ein ganz besonderes Signet – Behrens‘ berühmtes AEG-Sechseck – und läßt uns darüber einiges sehr Interessante wissen.
Beginnen wir damit, daß Osthaus uns einen entscheidenden Hinweis auf die Ikonographie des Signets gibt. Denn das „magische Zeichen“ war in Behrens‘ Œuvre nichts Neues. Wir begegnen ihm bereits in der Jugendstil-Periode des Künstlers, als er Mitglied der Künstlerkolonie Darmstadt war. Diese Gruppe von sieben Künstlern, einer der letzten großen l’art pour l’art-Kulte, angeführt von Josef Maria Olbrich, strebte danach, eine eigene, ästhetisch perfekte Welt zu erschaffen. In Darmstadt hatte das Zeichen eine ganz besondere Bedeutung, die anläßlich der feierlichen offiziellen Eröffnungszeremonie der Kolonie 1901 deutlich wurde, eine Zeremonie, die Behrens selbst inszenierte. Der Höhepunkt des Festspiels war der Vortrag einer dramatischen Parabel von Georg Fuchs, die „Das Zeichen“ betitelt, von einem Propheten rezitiert wurde während er ein bedecktes Objekt zum Schirmherren der Kolonie, dem Großherzog von Hessen, trug:

„Wie der Staub, gewalt-besiegelt
Demant wird aus blindem Kern,
Fest geformt den Wechsel spiegelt,
Licht in Licht und Stern in Stern“.

Sodann enthüllte und erhob der Prophet das „Zeichen“, einen großen Kristalljuwel, und fuhr fort:

„Den Demant, Sinnbild neuen Lebens:
In diesem Zeichen wird euch offenbar:
Junger Seelen junges Jahr.
Die Zeit ist da, ihr harrtet nicht vergebens.“

Dieses „Zeichen“, das die Umwandlung des Staubes in einen Diamanten, des Lebens in Kunst symbolisierte, war aber der formale und thematische Kern vieler Arbeiten von Behrens in dieser Periode seines Schaffens.
Wenn Osthaus zwölf Jahre später schrieb, daß nun das Warenzeichen das „magische Zeichen“ sei, so können wir das durchaus wörtlich verstehen. Denn es war genau dieser Diamant von Darmstadt, den Behrens als Inspiration für das AEG-Warenzeichen verwendete.

Ware und Zeichen

Die Funktion der Form in einer modernen Wirtschaft beschrieben Osthaus (diskursiv) und Behrens (ikonographisch) in der traditionellen Diktion künstlerischer Kreativität und Transzendenz. Denn nicht nur die Suche der Künstler nach einem einzigartigen Blick auf die Welt schien zu den Anforderungen der kapitalistischen Gegenwart zu passen, sondern auch die Suche nach der evokativen, rückbezüglichen Arbeit der Phantasie. Doch mit der Gleichsetzung von Warenzeichen und „magischem Zeichen“ schienen Osthaus und die Künstler, für die er eintrat, etwas noch Spezifischeres zu meinen. Um dies zu verstehen, müssen wir noch einmal einen Blick in die Gesetze werfen, die in konkreter Weise das Verhältnis von Form und Wirtschaft bestimmten. Denn die eigenartige Magie des Warenzeichens war dem Gesetz, das seine Verwendung regelte, geradezu eingeschrieben. Und dieses Gesetz, das den Grafikern dieser Epoche auch in seinen subtileren Wendungen wohlbekannt war, gab der überraschenden Symbiose von Type und Individuum eine ganz eigene Dynamik.
Die Gesetzgebung für die Bezeichnung von Waren wurde in Deutschland 1876 zum ersten Mal in Kraft gesetzt und 1894, etwa zeitgleich mit der explosiven Ausweitung des Markts für Konsumgüter im neuen Reich überarbeitet. Das Gesetz stellte Regeln auf, wie Firmen ihre Produkte zu kennzeichnen und von ihrer Konkurrenten unterscheidbar zu machen hatten, so daß es möglich wurde, ein Unternehmen gegenüber unlauteren Mitbewerbern zu schützen, die über eine Imitation einer Marke deren Reputation für sich nutzbar zu machen versuchten. Aber das war beileibe nicht der einzige Sinn des Gesetzes. Vielmehr zielte es auch darauf ab, die Problematik zu lösen, die auch den Befürwortern der Typisierung so sehr am Herzen lag: der extensive Gebrauch von Superlativen, die Behauptungen von Exklusivität, die Versuche, offiziell zu erscheinen oder sich über die Anleihe von Worten oder Bildern Autorität zu verschaffen, mit einem Wort: die Indienstnahme aller denkbaren Zeichen für den Feldzug des Warenverkaufs. Denn ganz offensichtlich konnte die ökonomische wie semiotische Stabilität der Warenzirkulation nur noch durch die Einführung bestimmte Regularien aufrecht erhalten werden. Zu diesem Zweck zog das Gesetz innerhalb des begrenzten Rahmens, den es im Blick hatte, eine ziemlich grobe Unterscheidungslinie zwischen solchen verbalen und visuellen Zeichen, die man sich aneignen konnte und solchen, bei denen dies ausgeschlossen war. Diejenigen Zeichen, die privates Eigentum werden konnten, wurden einfach und logischerweise Warenzeichen genannt, während die anderen als „frei“ bezeichnet wurden.
Die rechtliche Definition des Warenzeichens oder des zur Ware gewordenen Zeichens war einfach. Solche Zeichen mußten sichtbar und unterscheidbar sein und durften mit einem schon vorhandenen Warenzeichen nicht verwechselt werden können. Ein Unternehmen konnte seine Warenzeichen für die Applikation auf seinen Produkten oder in Verbindung mit ihnen auswählen oder entwickeln. Die Zeichen konnten für einige oder alle der zahllosen Kategorien und Unterkategorien eingetragen werden, nach denen Güter gesetzlich klassifiziert wurden. Für eine Gebühr von 30 Mark pro Zeichen und eine beliebig erneuerbare Frist von zehn Jahren konnten sich die Unternehmen Worte oder Symbole für den Gebrauch im Warentausch reservieren lassen; als Waren konnten die Rechte an diesem Zeichen gekauft, verkauft, gehortet und sogar vererbt werden.
Allerdings war es dann doch der Begriff des „freien“ Zeichens, der, gewissermaßen im negativen Sinn, den Charakter der Warenzeichen bestimmte. Denn mit dem „freien“ Zeichen hatte das Gesetz eine Art semiotischen Zufluchtsort für nicht zur Ware gewordene Symbole und Zeichen geschaffen, die für alle ohne Kosten oder rechtliche Komplikationen verfügbar waren: Dies waren zum Beispiel Zahlen, Buchstaben, Gewichte und Maße, die Namen von Städten und Staaten sowie Gattungsnamen von Produkten. Derartige Zeichen sollten aufgrund ihrer „Notwendigkeit […] für die Allgemeinheit“ nicht besessen werden können, sie waren für „den Verkehr notwendig“. Niemand konnte zum Beispiel die Rechte am Zeichen des roten Kreuzes besitzen, dem internationalen Zeichen der Neutralität der Genfer Konvention; und kein Sektfabrikant konnte die Wörter „extra dry“ kontrollieren. Ebenso war es keinem Unternehmen gestattet, ein Monopol an den Wörtern „Stuhl“, „Schuh“ oder „Glühbirne“ zu halten. Andernfalls wäre die Wirtschaft in ein Meer von selbst-referentiellen Eigennamen aufgesplittet worden, die selbst die einfachste Kommunikation unmöglich gemacht hätten.
In dieser Hinsicht war das Gesetz hart. Warenzeichen oder zur Ware gewordene Zeichen hatten alle Bezüge mit allgemein gebräuchlichen Benennungen der jeweiligen Produktkategorie zu vermeiden – auch alle Informationen, in den Worten des Gesetzes, über „Art, Zeit und Ort der Herstellung, über die Beschaffenheit, über die Bestimmung, über Preis-, Mengen- oder Gewichtsverhältnisse der Ware.“ Mit anderen Worten gesagt: das Gesetz bestimmte, daß das Warenzeichen nicht sachlich sein durfte, jedenfalls nicht in dem Sinne sachlich, wie dieser Ausdruck von den Befürwortern der Typisierung gebraucht wurde. Auch Zeichen der Produktion, Technik und Funktionalität waren in dem immer wichtiger werdenden System, durch das visuelle Formen einen Tausch-wert bekamen, verboten. Dies aber bedeutete, daß auch Standardformen gebräuchlicher Güter nicht privatisiert werden konnten. Das Bild einer Glühbirne, einer Uhr, eines Schuhs oder eines Tischventilators – selbst, wenn dieser patentiert sein sollte – konnte nicht als Warenzeichen für dasjenige Gut eingetragen werden, das es repräsentierte. Daher bot das Gesetz auch in den Fällen, in denen offensichtlich kopiert wurde, wie der Diebstahl des von Lucian Bernhard für das Unternehmen Stiller Schuh entwickelten Warenzeichens, bei dem nur der Name ausgetauscht wurde, zeigt (Abbildung 21), keinen Schutz. Denn da der Schuh ein „freies“ Zeichen war, war er nur in Verbindung mit dem Namen Stiller geschützt. Ebenso war eine Bogenlampe von Behrens zwar eine Ware, doch konnte ihr Bild, ihre im Katalog abgedruckte Reproduktion, kein Warenzeichen sein. In der Sprache des Werkbunds gesagt: die Form der Type hatte, wie wichtig sie auch für die Produktion sein mochte, auf dem Markt nur einen sehr begrenzten Wert. Als Markenzeichen war sie ökonomisch nicht brauchbar, jedenfalls nicht sie allein ohne ein eingetragenes Warenzeichen. Deshalb reproduzierte das Titelblatt einer von Bernhard entworfenen Broschüre aus dem Jahre 1913 (Abbildung 22) nicht bloß einen optischen Bestand, sondern zeigte die Lampe vor dem Hintergrund der geradezu überirdisch erglühenden Behrens’schen Turbinenfabrik für die AEG (1909), ganz abgesehen davon, daß dieses Bild zusätzlich von nicht weniger als drei eingetragenen Warenzeichen umzingelt war.
Diese Prinzipien der modernen Warenzeichen-Gesetzgebung gab es nicht nur in Deutschland. Hier wie dort zielten sie darauf ab, eindeutige Begriffe zu entwickeln, mit denen die vom Markt bestimmte Kultur erfasst werden konnte. Indem das Gesetz per definitionem eine willkürliche Verbindung zwischen der Produktion und Funktion eines Produkts und seiner Erscheinung auf dem Markt festlegte, schuf es ein eigenes Reich von Zeichen für Waren und damit eine neue Klasse von Repräsentationen, die von denen radikal getrennt waren, die die tatsächlichen, materiellen Funktionen innerhalb der Wirtschaft bestimmten. Warenzeichen und andere Marktzeichen waren zwar Teil dieser Wirtschaft und speisten Energien im Kreis der Warenaustauschs; doch das Gesetz machte zur Auflage, daß die auf dem Markt zirkulierenden Zeichen dem Konsumenten als ein neues, gänzlich abgelöstes Bild der Welt der Waren entgegen traten. Anders gesagt: Indem es einen semantischen Keil zwischen Produktion und Massenmarkt trieb, trennte das Gesetz Basis und Überbau gerade zu einer Phase, in der sich einige Zeitgenossen daran machten, diese Bereiche miteinander zu verschmelzen und eine Industriekultur zu schaffen.
Osthaus, Behrens, Bernhard und andere Künstler, deren Arbeit in erster Linie auf den Handel ausgerichtet war, hatten das Paradoxon der Industriekultur durchschaut und verstanden, daß die Produktions-Type auf dem Markt als Individuum erscheinen mußte. Diesen Widerspruch kann man auch daran erkennen, daß viele Werkbund-Künstler wiederholt Darstellungen von Typen mit individuellen Kennzeichen versahen, Zeichen die nicht sachlich sein durften. Eben dieser Widerspruch, ablesbar auch am Sachplakat als einer Veranschaulichung der Industriekultur, war aber zu stark, um eine tragfähige Lösung des Problems der Erscheinungsweisen auf dem Markt zu garantieren. So fiel die Type bald vollkommen aus dem semiotischen Stromkreis des Warenaustauschs heraus und befreite die Warenzeichen ganz von funktionalen oder technischen Aspekten, mit dem Ergebnis, daß Dandies in Smokingjacke gegen Moslems mit Turbanen in den Kampf geschickt wurden und die Erscheinungen, die den Warenaustausch beflügelten, sich zu einem weiteren Schleier der Maja zusammenzogen, unter dessen glänzender Oberfläche der die Realität der Produktionsbedingungen verborgen blieben.

Kultur und Kapitalismus

Individualität war die conditio sine qua non des Warenzeichens. Auch wenn sie der Typisierung widerstanden und auf dem Vorrecht des Künstlers und darauf bestanden, seiner (sei der eigenen oder der seines Kunden) Persönlichkeit Ausdruck geben zu können, so waren die Verbündeten von Osthaus und van de Velde wohl kaum so idealistisch, wie ihre pathetische Pose auf der Debatte in Köln 1914 glauben machen könnte. Wohl kaum richtig als „geistige Nachhut eines auslaufenden Designer-Typus“ begriffen, zeigte sich in der von van de Velde vorgetragenen Position ein scharfes Bewußtsein der Bedingungen, denen die Kunstgewerbler durch den Konsumgütermarkt unterworfen waren. Sieht man einmal vom strengen Ton und von der schroffen Form der Erklärungen ab, so wird erkennbar, daß es die Mitglieder von Muthesius‘ Lager waren, die mit ihren Projektionen einer mit der Stimme der Produktion sprechenden, das Getöse des Kommerzes übertönenden, harmonischen Kultur, als die wahren Träumer und wirklichen Utopisten im Werkbund erwiesen. (up to here worked over, rest will follow tomorrow
Der Schleier der Maja, das „magische Zeichen“, der Fetisch: Aus der Sicht derer, die in der kapitalistischen Wirtschaft eine tragende Rolle zu spielen suchten, kann man Osthaus und den anderen Individualisten ein bemerkenswert genaues Verständnis der Funktionsweise von visuellen Formen in einer Kultur bescheinigen, deren Gesicht die Konsumwirtschaft ist. Sie analysierten die Situation als Praktiker, zwar ohne theoretischen Hintergrund und reichlich pathetisch, doch zutreffend. In ihrem Abschiedsgruß an die Produktion als der sichtbaren Gestalt der Moderne glimmen Einsichten einer Reihe von Denkern, von Marx bis Lukács auf und klingen Guy Debors‘ „Spektakel“ und Jean Baudrillards Begriff der „Simulation“ oder der der Hyperrealität von referenzlosen Bedeutungsträgern an. Will man also den Werkbund als einen Teil der Vorgeschichte der Postmoderne verstehen, so kommt man nicht umhin, das bemerkenswert vorgreifende Gespür zu registrieren, mit dem die Osthaus-Gruppe die Tendenzen wahrnahm, nach denen der Markt sich zum bedeutungsvollsten kulturellen Raum der Moderne entwickeln, zu einem Raum, den auch das Deutsche Museum aufzuspüren suchte, zu besetzen und bis zu einem gewissen Grade zu kontrollieren verstand. Dort gab tatsächlich eine Welt der „magischen Zeichen“, und gibt es sie noch. Osthaus und seine Mitstreiter hießen sie willkommen, denn sie versprach die Lösung einiger der Probleme, mit denen man sich unter den neuen ökonomischen Bedingungen konfrontiert sah. Doch soll hier der Mythos einer Werkbund-Widerstandsgruppe nicht weiter gefüttert werden: Vielmehr bleibt festzuhalten, daß es auch den Individualisten immerhin noch so gut ging, daß sie andere Probleme ignorieren und hinter dem glänzenden Schleier des Konsumgütermarkts unbearbeitet liegen konnten.


Anmerkungen

Dieser Aufsatz basiert in großen Teilen auf Material und Thesen aus meinem Buch: The Werkbund: Design Theory and Mass Culture before the First World War, New Haven und London 1996, sowie meinem Aufsatz: Commodity Signs. Peter Behrens, the AEG, and the Trademark, in: Journal of Design History 9, Nr. 3, 1996, 153-184.

Leitsatz 1. Sowohl Muthesius‘ Leitsätze als auch van de Veldes Gegenleitsätze wurden in der unschätzbaren Dokumentensammlung: Funk 1978, hier: 7, wieder zugänglich gemacht.
Leitsatz 6, ebenda.
Leitsatz 2, ebenda.
Leitsatz 9, ebenda.
Gegenleitsatz 1, ebenda, 8
Ebenda.
Gegenleitsatz 8, ebenda, 9

Siehe die folgenden Darstellungen, die grob nach den jeweils vertretenen Positionen geordnet sind und die sich von dem ersten zum zweiten Standpunkt bewegen. Rayner Banham schreibt, daß die Haltung, die Muthesius in bezug auf Standardisierung und industrielle Produktion entwickelte, „für den größten Teil der Zeit bis 1914 und weit darüber hinaus gut blieb“, während van de Veldes Position die „Tat der geistigen Nachhut eines auslaufenden Designer-Typus“ war, in: Banham 1981, 78. Julius Posener beurteilte die beiden Positionen als „fortschrittlich“ respektive „rückständig“, wobei auch er das Thema auf die Auseinandersetzung über die Massenproduktion reduzierte. Siehe Posener 1979, 11-32 und 525-530.

Gert Selle beschreibt Muthesius‘ Position als „Volkswirtschaftlichen Realismus“ in: Selle 1973, 83; er setzt diese Position ab gegen van de Veldes „handwerklich-manufakturmäßige“ Einstellung, so in: Selle 1978, 62-77, insbesondere 70.

Ein vergleichbarer Standpunkt wird von Sebastian Müller vertreten in: Müller 1974, 109-111. Vgl. abschließend Karl-Heinz Hüters Darstellung der Debatte und seinen Schluß, daß „die weitere Entwicklung Muthesius recht (gab)“, in: Hüter 1976, 109-112.

Es sollte darauf hingewiesen werden, daß der Mythos vom „linken Flügel“ des Werkbunds – eine Phrase, die unter anderem van de Velde (in: van de Velde 1959, 360) bemühte, – aus retrospektiver Sicht in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg entstand, zu einer Zeit also, als die Einnahme von ‚linken‘ Positionen (ob radikal oder nicht) auch in mainstream-Diskussionen über Design durchaus vielversprechend erschien und akzeptiert wurde. Dies gilt, obwohl der Mythos Unterstützung durch bestimmte Äußerungen erfuhr, die in der durch eine generelle antiwirtschaftliche Stimmung geprägten Zeit unmittelbar vor dem Ausbruch des Krieges gemacht wurden und den sich die Ansätze einer nationalistischen Kriegsideologie mitschwingen. Der Streit selbst wird am besten beschrieben von Angelika Thiekötter: Der Werkbund-Streit, in: Köln 1984, 78-94.

Obwohl er in Köln nicht sprach, gehörte Gropius, einer Meinung mit Osthaus, zum Kern der Opposition gegen Muthesius; siehe seinen Briefwechsel mit Osthaus in: Funk-Jones 1978.

Behrens blieb in Köln neutral und versuchte zwischen den zwei Parteien zu vermitteln.
Brief an Bruno Rauecker vom 19. Oktober 1915, KEO-Archiv A 1846/24.
Denkschrift des Ausschusses des deutschen Werkbundes, 1907, wiederveröffentlicht in: Fischer 1975, 50.
Muthesius 1908, 21.
Muthesius 1907, 177.

Zu der Ausstellung in Dresden und den Ereignissen, die zur Gründung des Werkbunds führten, siehe: Thiekötter 1990, 38-44; Heskett 1986, 106-119; und Bruckmann 1932, 82-87.

Den Kern der Opposition gegen die Dresdner Ausstellung bildete der Fachverband für die wirtschaftlichen Interessen des Kunstgewerbes, siehe: Stenographischer Bericht über den 2. Kongreß Deutscher Kunstgewerbetreibenden in Düsseldorf am 14. Juni 1907.
Muthesius, Kunstgewerbe, 1907, 317, 320.

Albert Osterrieth: Das Werk der angewandten Kunst als Gegenstand des Urheberrechts, Kunstgewerbeblatt, N.F. 17, Nr. 7, 1906, 125-126.

Über das Französische Urheberrecht, das sich vom deutschen hinsichtlich dieses Punktes nur geringfügig unterscheidet, siehe Molly Nesbit: What was an Author?, Yale French Studies 73, 1987, 233: „The droits d’auteur were applied to any work done in the designated media, writing, music composition, painting, drawing, and engraving, basically those media that could be worked up into forms of high culutre like poems, sonatinas, and red chalk sketches.“ Dieser Paragraph fußt auf Nesbits bahnrechender Untersuchung des Urheberrechts. Siehe auch dieselbe: Atget’s Seven Albums, New Haven and London 1992.
Die Gesetzgebung zum Urheberrecht „meant to distinguish a particular kind of labor from another, the cultural from the industrial.“: Molly Nesbit: What was an Author?, 1987, 234.
„The copyright law regulated the market economy for culture at the same time that it set it apart from the regular economy.“ Ebenda, 235.
Johannes Neuberg: Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen vom 11.1.1876, Berlin 1911, 16-17.
Daude 1907, 15-17.
Stadtrat Sahm: „Das neue Gesetz über das Urheberrecht“, in: Kunstgewerbeblatt, N.F., 18, Nr. 8, 1907, 167. „Die Erzeugnisse des Kunstgewerbes sind durch §2 Abs. 1 urheberrechtlich den Werken der hohen Kunst gleichgestellt“, schrieb der Kommentator einer früh veröffentlichten Ausgabe des neuen Gesetzes – die knappe juristische Version einer Äußerung, die mehr als ein Jahrzehnt früher von van de Velde gemacht wurde: „Wir können in der Kunst keine Scheidung zulassen, die darauf ausgeht, einseitig einer ihrer vielen Erscheinungsformen und Ausdrucksmöglichkeiten einen höheren Rang vor den übrigen zuzuweisen; eine Scheidung der bildenden Kunst in hohe Kunst und in eine zweitklassige niederere, industrielle Kunst aber verfolgt keinen anderen Zweck.“ Daude 1907, 17, (Kommentar); Henry van de Velde 1955, 37.
Daude 1907, 17-18 (Kommentar).
Osterrieth, 1906, 126 (Hervorhebungen im Original).

Anspielend auf die Formierung des Werkbunds, als er das Ausscheiden zweier Firmen ankündigte, die er vor dem Fachverband vertrat, bemerkte J.A. Lux in: Diskussionsbeiträge zu „Der Fall Muthesius“, Stenographischer Bericht über den 2. Kongreß deutscher Kunstgewerbetreibender, 129: „Wir erklären […] Mitglied eines Verbands zu sein, der sich zum Schutze der künstlerischen Interessen gebildet hat.“ Dies entsprach Osthaus‘ Interpretation der Veranstaltung. „Der Werkbund ist begründet“, schrieb er, „um der Kunst seiner Gründer ein Förderer zu werden.“, Brief an Bruno Rauecker vom 26. 10. 1915, KEO-Archiv A 1864/33.

Aus Fritz Schumachers Rede zur Gründung des Werkbundes, anläßlich des Gründungstreffens. Siehe Schumacher: Die Wiedereroberung harmonischer Kultur, in: Der Kunstwart 21, Nr. 8 , 1908, 135-138, hier 138.
Henry van de Velde, Peter Behrens, Richard Riemerschmid, August Endell und Hermann Obrist, um nur einige zu nennen.

„Eine Reihe von Fabrikanten, durch die Werkstätten angeregt“, schrieb die Deutsche Kunst und Dekoration 1901, haben „sich entschlossen, nach künstlerischen Modellen in neuer Richtung zu arbeiten. Viele jedoch finden es, begünstigt von unserer heutigen Musterschutz-Gesetzgebung, weit einfacher, das Risiko der Modell-Anfertigung nicht zu übernehmen, sondern einfach die auf den Markt kommenden Künstler-Muster durch ihre Zeichner soweit abändern zu lassen, daß sie mit dem Gesetze nicht in Konflikt kommen, und diese nun weit billiger als die Original-Künstler-Muster auf den Markt zu werfen.“ „Die Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk zu München“, in: Deutsche Kunst und Dekoration 8, 1901, 432.
Karl Scheffler: Eine Bilanz, in: Dekorative Kunst 6, Nr. 7, 1903, 252-253.
Muthesius 1902, 61.
Vogt: Folgen des neuen Kunstschutzgesetzes für das Kunstgewerbe, in: Innen-Dekoration 19, Nr. 8, 1908, 266.
Daude 1907, 37.

Es ist interessant festzustellen, daß die Künstler der Osthaus-Gruppe, die zwischen 1907 und 1914 ihre Position mehr oder weniger beibehielten, zuerst dachten, sie hätten in Muthesius einen der ihren erkannt. Hermann Obrist, 1914 leidenschaftlicher Widersacher von Muthesius, unterstützte ihn 1907 ebenso leidenschaftlich:“Männer wie Muthesius sind unsere wertvollsten Bundesgenossen, die unserer Dankbarkeit sowie der Hochachtung der Gebildeten […] unbedingt sicher sein dürfen.“ Zitiert nach Hermann Obrist: Der ,Fall Muthesius‘ und die Künstler, in: Dekorative Kunst 11, Nr. 1, 1907, 44.

Daß der Begriff einer klaren Definition entbehrte, und Muthesius‘ Vorschläge deshalb kaum beurteilt werden könnten, war ein regelmäßig wiederkehrendes Thema der Debatte in Köln, die abgedruckt ist in: Die Werkbund-Arbeit der Zukunft und Aussprache darüber […] 7. Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes vom 2. bis 6. Juli in Köln, Jena 1914.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß wiewohl die „Typisierung“ auf einen Bezug zur Wirtschaft hizuweisen schien, alle von Ökonomen geführten Diskussionen dieses Begriffs (wie etwa von Karl Bücher, Werner Sombart oder Bruno Czolbe) den Werkbundstreit erst nach 1914 stattfanden.
Friedrich Naumann: Werkbund und Handel, in: DWJB 1913, 10.

Über das gleiche Thema: „In hundert und mehr Fällen drückte der Kaufmann die Qualität der Waren tiefer als es dem Hersteller lieb ist. Er verlangt gutes Aussehen bei geringerem Gehalt. Der ganze verhängnisvolle Zug der Scheinware stammt zu einem guten Teile aus dem Einkaufbüros der Grossisten und Agenten.“, ebenda, 9. Muthesius nimmt diese Position ebenfalls ein: „Es wird sich zeigen, daß das Publikum gar nicht den Wunsch hat, in jeder Saison neue Tapetenmuster zu sehen. Der Wunsch ist auf dem Wege zwischen Produzenten und Konsumenten, d.h. durch den Zwischenhandel , entstanden.“, Muthesius 1908, 19.

Sombart war bis 1911 Werkbund-Mitglied. Seine Aufteilung des „Geistes des Kapitalismus“ entsprechend der verschiedenen Teilbereiche der Wirtschaft entwickelt er in: Der moderne Kapitalismus, 2 Bde., Leipzig,1902; in: Der Bourgeois, München1913; und, diffamierend, in: Die Juden und das Wirschaftsleben, Leipzig 1911; sowie in: Händler und Helden, München 1915.

Die vollständigste zeitgenössische Untersuchung der Konzentration des Kapitals war die von Rudolf Hilferding: Das Finanzkapital: Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus, (1910), Reprint: Berlin 1947; sie wurde aber auch in Arbeiten von Sombart und Richard Calwer, einem engen Mitarbeiter von Naumann, diskutiert. Karl Scheffler war ein prominenter Vertreter der Auffassung, daß die kapitalistische Wirtschaft von einem mächtigen Produktionssektor angeführt werden könne, eine Auffassung, die in der Formulierung des Typisierungs-Projekts deutlich wiederzuerkennen ist. In seinem Buch: Die Architektur der Großstadt, Berlin 1913, 35, stellt er zum Beispiel seine Forderung nach einer führenden Rolle der Trusts der Bauindustrie in den Kontext seiner Auffassung daß „nicht das Besondere […] in Frage [stehe], sondern das Typische, nicht das Exzeptionelle, sondern das Allgemeingültige.“. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß Scheffler das Programm der Typisierung nicht in der Form unterstützte, wie es von Muthesius, Naumann und dem Kreis um die Werkstätten 1914 propagiert wurde. Vieles davon hat ohne Zweifel mit dem offensichtlichen Kontrast zwischen Muthesius‘ triumphierenden Ton und der mittelmäßigen Qualität der Gebäude zu tun, die auf der Werkbund-Ausstellung 1914 als typisch präsentiert wurden – eine Tatsache, die Scheffler, einer der bekanntesten Kunstkritiker der Zeit, natürlich in seine Betrachtungen einbeziehen mußte. Aber Scheffler ergriff während der Debatte nicht das Wort; seine Reaktion zeigte sich später. Seine Kommentare finden sich in: Posener 1964, 225. Posener selbst charakterisiert Scheffler als einen Verfechter der Trusts, so in: Posener 1979, 252.
Muthesius 1912, 25.

Die vollständigste Darstellung dieser Zusammenarbeit ab 1907 (kurz vor der Gründung des Werkbundes) bei: Buddensieg/Rogge 1979.
Muthesius 1908, 28.
Fritz Hellwag: Peter Behrens und die A.E.G., in: Kunstgewerbeblatt N.F., 27, 1911, 150.
Friedrich Naumann, „Kunst und Industrie“, in: Der Kunstwart 22, Nr. 2, 1906, 70).

Das Verhältnis des Werkbunds zum Markenartikel wird diskutiert in: Thiekötter/Stein, 1996, 241-249.

Zum Sachplakat siehe Hanna Gagel: Studien zur Motivgeschichte des deutschen Plakats, 1900-1914, Ph. D. Dissertation, Freie Universität Berlin, 1971; und Krause 1992,185-202.
Siehe zum Beispiel E. Hertel: Aus der Werkstatt des Plakatzeichners, in: Das Plakat 3, Nr.6, 1913, 17.
Seidels Reklame 1, Nr. 6, 1913, 169.
Karl Scheffler: Kunst und Industrie, in: Kunst und Künstler 6, Nr. 10, Juli 1908, 434.
Paul Mahlberg: Besprechung der Monographien deutscher Reklamekünstler, Kunstgewerbeblatt, N.F., 24, Nr. 8, 1913, 155.

Über die große Bandbreite von Osthaus‘ Schirmherrschaft siehe die Aufsatzsammlung Osthaus 1971.
Müller 1971, 268. Müllers Aufsatz bleibt die wichtigste und umfassendste Darstellung des Museums.
Brief an Julius Klinger vom 25.5.1910, KEO -Archiv A 788/44, zitiert in: Müller 1971, 320.
Müller 1971, 266.

Eine Idee, die anscheinend mit Ernst Growald diskutiert wurde, dem Leiter der Agentur Hollerbaum & Schmidt (für die Lucian Bernhard, Julius Gipkens und Julius Klinger arbeiteten), der auf diese Idee mit einem langen Brief an August Kuth vom 2. Juli 1910 reagierte, KEO -Archiv A 606/14-18.
„Während auf dem Gebiet des Plakatwesens der Künstler längst als unentbehrlich erkannt wurde, wird die Mitarbeit des Architekten auch vom Standpunkt der Reklame aus noch nicht gewürdigt. Gerade seine Tätigkeit muß aber den Reklameabsichten eines weitsichtigen Organisators willkommen sein, denn er gibt der Fabrikanlage auch nach außen hin ein würdiges Gewand, das auf den Charakter des ganzen Unternehmens schließen läßt. Die Aufmerksamkeit des Publikums wird sicherlich durch Schönheit und künstlerische Originalität des Fabrikgebäudes intensiver gefesselt als durch daraufgehängte Reklame- und Firmenschilder […]“, Walter Gropius: Zur Wanderausstellung moderner Fabrikbauten, in: Der Industriebau 2, 1911, 47. Siehe auch Gropius in: DWJB 1913.

Über Muthesius‘ Versuch, die Veröffentlichung eines Artikels über Reklamekunst im Jahrbuch zu verhindern, siehe Schwartz 1996, 91, zu Muthesius‘ früherer Beteiligung und späterer Ablösung von einer Ausstellung von Reklamedrucksachen, die vom Deutschen Museum organisiert war, siehe Funk 1978, 2.
Karl Ernst Osthaus: Peter Behrens, in: Kunst und Künstler 6, Nr. 3, 1907, 123.
Meyer-Schönbrunn 1911, 4.
Osthaus 1913, 63.
„Das Zeichen: Festliche Dichtung von Georg Fuchs“, in: Alexander Koch (Hrsg.): Großherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt, Darmstadt 1901, 65-66.

Behrens‘ Rolle in der Künstlerkolonie Darmstadt und die große Bedeutung der Bildsymbolik des Kristalls für ihn sind genau untersucht in Stanford Anderson: Peter Behrens and the New Architecture of Germany 1900-1917, Ph. D. Dissertation, Columbia University, 1968, 46-57, sowie von Tilmann Buddensieg: Das Wohnhaus als Kultbau: Zum Darmstädter Haus von Behrens“, in: Peter Behrens und Nürnberg, München 1980, 39-40.

Behrens‘ Bildsymbolik wurde in einer breiteren Darstellung der Ikonographie des Kristalls besprochen von Rosemarie Haag Bletter: The Interpretation of the Glass Dream – Expressionist Architecture and the History of the Crystal Metaphor, in: Journal of the Society of Architectural Historians 40, Nr. 1, 1981, 30-32. Siehe auch Regine Prange: Das kristallene Sinnbild, in: Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 1950: Expressionismus und Neue Sachlichkeit, Frankfurt a. M. 1994, 69-70.
Diese Beschreibung Riegls könnte als knappe Darstellung des Signets dienen: „[…] eine kristallinische, in klar geschiedene Teilebenen gebrochene Form (gewöhnlich mittels Facettierung), [mit] einer klaren Abgrenzung.“ Alois Riegl: Spätrömische Kunstindustrie (1901), wiederabgedruckt Wien 1927, 343.
Die Benzolring-Hypothese wurde von Joseph Masheck erwähnt im Kontext der allgemeinen Wichtigkeit der kristallinen Form zu dieser Zeit. Siehe Masheck: Crystalline Form, Worringer and the Minimalism of Tony Smith, in; Building Art: Modern Architecture under Cultural Construction, Cambridge 1993. Obwohl weder Masheck noch die oben Zitierten ihre Entdeckungen über kristalline Bildsymbolik mit Behrens AEG-Logo in Verbindung bringen, sollte klar sein, was ich ihrer Arbeit schulde.

Künstler wurden nicht nur über die Grundlagen des Markenzeichens informiert, sondern auch über kürzlich getroffene Entscheidungen der Gerichte, und zwar durch die reglmäßige Berichterstattung, die in Berufsspartenblättern erschienen, etwa: Das Plakat, die Zeitschrift moderner Reklame, Seidels Reklame und die Mitteilungen des Vereins deutscher Reklamefachleute sowie durch die allgemeineren Artikel, die in Werkstatt der Kunst und der Beilage Wirtschaft und das Recht des Künstlers erschienen.
Zur Geschichte des Gesetzes von 1894 siehe Arnold Seligsohn: Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen, Berlin 21905, 17-22.
§ 1. „Wer in seinem Geschäftsbetriebe zur Unterscheidung seiner Waren von den Waren Anderer eines Warenzeichens sich bedienen will, kann dieses Zeichen zur Eintragung in die Zeichenrolle anmelden.“, zitiert nach Chr. Finger: Das Reichsgesetz zum Schutz der Waarenbezeichnung vom 12. Mai 1894, nebst Ausführungsbestimmungen, Berlin 1895, 1.
§ 12. „Die Eintragung eines Warenzeichens hat die Wirkung, daß dem Eingetragenen ausschließlich das Recht zusteht, Waren der angemeldeten Art oder deren Verpackung oder Umhüllung mit dem Warenzeichen zu versehen, die so bezeichneten Waren in Verkehr zu setzen, sowie auf Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefen, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen das Zeichen anzubringen.“ Zitiert nach: Finger, Das Reichsgesetz, S. 62.
Chr. Finger: Beurteilung der Unterscheiungskraft von Warenzeichen, besonders von Buchstabenzeichen; Bedeutung langjährigen Gebrauchs, in: Markenschutz und Wettbewerb 13, 1913/14, 11-12. Das Gesetz entschied weiter zwischen 1. „Freizeichen“ oder Zeichen, die theoretisch eingetragen werden könnten, aber bereits allgemeinen Gebrauch in einer Branche erlangt hatten; und 2. „unzulässige Zeichen“, die aufgrund ihrer notwendigen kommunikativen Funktion für den „freien Gebrauch“ oder die „freie Benutzung“ aller verfügbar bleiben mußten.
Finger, Das Reichsgesetz, § 21, 28.
„Zur Unterscheidung ungeeignet sind namentlich Abbildungen der Ware, die mit dem Zeichen versehen werden soll […] auch technisch wesentlicher Teile, sowie deren Namen, auch wenn die Ware unter Schutz steht, ferner schematische Darstellungen der Umrißlinien der Ware […]. Das Bild einer Ware kann auch für verwandte Waren der Unterscheidungskraft entbehren, so das Bild eines Schirmes für Stöcke und eines Stiefels für Schuhe.“ nach W. Rhenius: Gesetz zum Schutze der Warenbezeichungen vom 12. Mai 1894, Berlin 21908, 3-4.
Das Sechseck auf dem Giebel der Fabrik, die eingerahmten Buchstaben AEG und das Wort Flammecolampen. (Die gerahmten Buchstaben AEG waren 1914 eingetragen worden.)
Banham 1971, 78.

So dachte auch Sombart in der Retrospektive. Er schrieb über „[…] das Bedürfnis einiger Idealisten nach Gleichförmigkeit der Güterwelt, die wähnen, auf diesem Wege wiederum zu einem ,Stil‘ gelangen zu können, der ja im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung abhanden gekommen ist. Als ob ein Stil, der nur aus Einheitsgeist entspringen kann, durch irgendwelche Äußerlichkeiten, wie es die Gleichgestaltung der Gebrauchsgüter ist, künstlich erzeugt werden könnte! Immerhin wird die Tendenz zur Uniformierung unserer Güterwelt auch durch diese absonderlichen Stilsucher verstärkt […]. So träumte […] der bekannte ,Typen-Schmidt‘ aus Hellerau von dem einen Weltstuhl.“ in: Sombart 1927, 633-634. „Typen-Schmidt“ ist Karl Schmidt, Gründer der Deutschen Werkstätten in Hellerau, Bewunderer von Naumann und auf Muthesius‘ Seite in der Köln-Debatte. Die „Maschinenmöbel“, die von den Deutschen Werkstätten hergestellt und unter dem Markennamen DeWe vermaktet wurden, wurden häufig als „Typen“ diskutiert.

Das Schöne und der Alltag: Deutsches Museum für Kunst in Handel und Gewerbe, 1909 – 1919. (pp. 409-427). Gent: Schoeck-Ducaju & Zoon.