Sammeln in einem offenen System

1. Jan – 31. Dez 2000

Die Ausstellung „sammeln!“ war vor dem Hintergrund folgender Fragestellungen konzipiert: Nach welchem Konzept, nach welchem System wird unterschieden zwischen Wertlosem und Wertvollem? Ist das Museum noch die Heimat des Sammelns oder gibt es Zweifel und Misstrauen gegenüber der identitätsstiftenden Funktion des Museums? Wie unterscheidet sich das individuelle vom Sammeln im öffentlichen Auftrag? In dem Projekt wurden private und künstlerische Sammlungen der eigenen musealen Sammlung gegenübergestellt und die Ähnlichkeit der drei Arten von Sammlungen (privaten, künstlerischen und musealen) hervorgehoben; alle folgen ähnlichen Grundimpulsen nämlich dem Bedürfnis, Dinge zu suchen und zu finden, Dinge zu horten und aufzuheben und sie zu ordnen, sich in den Dingen zu spiegeln und sich in den Dingen zu verlieren.
Im Zentrum der Ausstellung und über den gesamten Zeitraum unverändert, wurde die Museumssammlung in einer großen Rauminstallation als Modell mit einer Konstruktion aus sich kreuzenden Sammlungslinien vorgestellt; der Titel: „Kreuzungen – ein Sammlungsmodell“.

Für die anderen Räume gelang es mit einem öffentlichen Aufruf eine große Zahl an ausstellungsbereiten privaten Sammlern und Künstlern, die mit Sammlungsstrategien arbeiten, zu gewinnen. Im Gegensatz zu anderen Ausstellungen, bei denen oft die ausgewählten privaten Sammlungen in enger Verknüpfung mit den jeweiligen Sammlerpersönlichkeiten vorgestellt wurden, stand bei dieser Ausstellung das Thema „Sammeln“ im Vordergrund. Die verschiedenen, sehr heterogenen privaten Sammlungen waren in langen durchgehenden Reihen von Metall-Lagerregalen eingeordnet, die mit Hilfe von Spiegeln, die an jeweils beiden Regalenden angebracht waren, ins Unendliche fortgesetzt wurden. So wurde die Geste des Sammelns als allgemeine, anthropologische Konstante, als zunehmendes und unbegrenztes, alltagskulturelles Phänomen verdeutlicht. Zudem hat sich das Museum die Aufstellung der Objekte selbst vorbehalten. Die museale Konzeption sah vor, die Einzelsammlungen nüchtern aufzureihen und als Dingfolge von links nach rechts lesbar zu machen und nicht als einzelnes Konvolut zu arrangieren. Auf diese Weise wurde die Heterogenität der Sammlungen gebannt. Es wurde nicht so sehr das Individuelle und Originelle jeder Sammlung herausgestrichen als vielmehr Homogenität erzeugt und nivellierend gearbeitet, entsprechend der Funktionsweise des klassischen Museums. So gab es Fotoapparate, Radios, Gummitiere, Erstausgaben, Kaufmannsläden, Rasierpinsel, Teeeier, Zollstöcke, Feuerwehrautos, Nussknacker, Mineralien, Sand, eingelegte Tiere usw. in einem den Vergleich anregenden Nebeneinander.

Es war nicht einfach, die nivellierende Präsentation gegenüber den Sammlern durchzusetzen. Hier kommt ein zentraler Unterschied zwischen dem individuellen und dem musealen Sammeln zum Ausdruck. Die privaten Sammler verstanden ihre Sammlungen zumeist als Teil ihrer Persönlichkeit, als individuellen Ausdruck, den sie in der eigenhändigen Aufstellung der Objekte gerne betont hätten. Sie wurden in ihrem Gestaltungswillen gebändigt und die museale Präsentationsweise wirkte disziplinierend; es war eine Art von ‚Anästhesie’. Das Bild der Betäubung bezieht sich auf eine Charakterisierung des Sammelns von Pazzini: Er beschreibt das individuelle Sammeln als ein Suchen, das assoziativ, emotional, nicht unbedingt objektivier- und von außen nachvollziehbar und meist erst nachträglich zu benennen sei.

Aber zurück zum Ausstellungsraum: Während das Kuratorenteam dessen Gesamtwirkung und die überzeugende visuelle Übersetzung der inhaltlichen Konzeption im Auge hatte, war es für die meisten Sammler schwierig, von den eigenen Objekten zu abstrahieren. Das hatte zum einen damit zu tun, dass diese oft auf die konventionelle Bedeutungssteigerung im musealen Rahmen fixiert waren und einen Ort für ihre eigene Selbstrepräsentation suchten.

Den Sammlungen von Künstlern wurde ein etwas größerer Gestaltungsspielraum gewährt, da diese durch die Anordnung der Dinge ähnliche ästhetische Positionen wie das Museum zum Ausdruck brachten. Diese ästhetischen Positionen waren geeignet, die musealen Sammlungsintentionen zuzuspitzen.